Lektionen (German Edition)
Christopher. «Ein schwuler, schrulliger Ethikprofessor wäre doch cool, findest du nicht?»
Penny war schon früh im großen Vorlesungssaal und besetzte Plätze in der ersten Reihe für Christopher und Sarah. Als die beiden dazukamen, war der Saal bereits halb voll.
«Schau mal, wer hinten ist», zischelte Penny.
Sarah drehte sich um. Im allerhöchsten Rang saß ein halbes Dutzend Professoren, vier Frauen und zwei Männer. «Sie sind neugierig, wie sich der Neue macht», meinte sie.
«Bewunderer, wette ich», flüsterte Penny. «Hoover ist schwul, und die alte Loretta ist hinter allem her, was eine Hose trägt. Mindestens zwei, denen an mehr als Professor Trelawneys Vorlesungsstil liegt.»
Im Saal wurde es still. Ein großgewachsener Mann in einer Tweedjacke mit Lederflicken an den Ellbogen schritt in die Mitte des Podiums. Er schrieb etwas an die Tafel: «Die Ontologie rekapituliert die Phylogenese. Post hoc, ergo propter hoc .»
Sarah rutschte auf ihrem Platz so tief es ging. John – Jonathon. Ihr John, ihr Traummann, war in Wirklichkeit ein «Jon» gewesen und stand nun hier als ihr Professor, als der Mann, von dessen Benotung abhing, ob sie das Studium abschloss, der Mann, den sie sich in ihren Träumen ausgemalt hatte. Der Mann, der sie …
Gott sei Dank trug sie Jeans und T-Shirt und war ungeschminkt. Vielleicht würde er sie ja nicht erkennen? Ein ganzes Semester lang? Wem machte sie da etwas vor!
Er wandte sich seinen Zuhörern zu. Sarah stellte ihre Notizbuch aufrecht, um ihr puterrotes Gesicht halb dahinter zu verbergen.
«Zunächst möchte ich gern meinen gelehrten Kollegen dort hinten dafür danken, mich bei meiner ersten Vorlesung an der Seneca-Universität durch ihr Erscheinen zu unterstützen.»
Christopher stieß Sarah an. «Schwul, de-fi-ni-tiv schwul.»
Sie knuffte mit dem Ellbogen zurück, und heftiger, als nötig war.
«Kribbelt es dich nicht einfach bei dem Akzent?»
«Für die Übrigen habe ich gute und schlechte Nachrichten», setzte Professor Trelawney seine Rede fort. «Die gute Nachricht lautet, ich schere mich keinen Deut um regelmäßige Anwesenheit. Viele angesehene Gelehrte erzielten wissenschaftliche Erfolge, ohne jemals einer Vorlesung beigewohnt zu haben. Kann irgendwer einen nennen?»
Christophers Hand schoss in die Höhe und zog damit Jonathons Aufmerksamkeit auf den Bereich, in dem Sarah saß.
«Ja, junger Mann?»
«Sie, Sir?»
Jonathon grinste. «Danke für diese plumpe Anbiederung, aber ich habe an solche Geistesgrößen wie T. E. Lawrence – Lawrence von Arabien – gedacht und Sir Richard Francis Burton – unter anderem der englische Übersetzer von Tausendundeine Nacht .»
«Schwul, wie ich gesagt habe», raunte Christopher.
«Die schlechte Nachricht lautet», fuhr Jonathon fort, «dass ich von meinen Studierenden erwarte, zu denken, ihren Verstand zu gebrauchen. Haben Sie bitte etwas Geduld, wenn ich nun erläuterte, was ich mit ‹Verstand› meine.»
Am Ende seiner ersten Vorlesung, während der Sarah die meiste Zeit Angst hatte, dass er sie erkannte, lenkte Jonathon das Augenmerk zurück auf die Worte an der Tafel. «Bitte denken Sie über diese Aussagen nach», sagte er. «Wie sind sie aufeinander bezogen? Haben sie eine Beziehung? Widerspricht die eine der anderen? Überlegen Sie sich Ihre Antworten und schreiben mir das Ergebnis dann in, sagen wir, zweitausend Wörtern auf? Bis Freitagmittag?»
Die Studenten verabschiedeten ihn mit üblichem Aufstöhnen, klatschten Beifall und strömten hinaus. Sarah huschte gebeugt zur Tür, als habe sie Schmerzen, die sie ja gewissermaßen auch hatte.
In jener Nacht in ihrem Bett, in der Phase zwischen Vorstellung und Traum, malte sich Sarah aus, in Jonathons Arbeitszimmer bestellt worden zu sein. Sie war nicht im Mindesten überrascht, dass er zwei Peitschenpfosten hatte aufstellen lassen. Immerhin ging ihm ein Ruf als so etwas wie ein Zuchtmeister voraus. Ohne irgendeine Überleitung wurde sie, alle viere von sich gestreckt, zwischen die Pfosten gebunden. Ihr Kleid war gazeartig, weiß, wallend und so gut wie durchsichtig. Darunter war sie nackt.
Jonathon nahm einen altmodischen Rohrstock mit gebogenem Griff, wie ihn Lehrer einst hatten, aus einem Gestell. Er umkreiste Sarah und beschrieb in demütigender Ausführlichkeit ihre vielen Unzulänglichkeiten. Er hielt hinter ihr inne, doch sie konnte ihn immer noch deutlich aus einem Blickwinkel außerhalb ihres Körpers heraus sehen. Er ließ den Rohrstock
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