Lemberger Leiche
brüllte: »Aha, die Dame will boxen? Das kann sie haben!«
Dabei landete er einen Aufwärtshaken gegen ihr Kinn. Brünnhilde setzte zum nächsten Schlag an. Ihr Vorteil war, ein ganzes Stück größer als Leo zu sein. Doch im nächsten Moment wurde ihr ihre Länge zum Verhängnis. Als sie zum Schlag ausholte, rammte sie mit dem Kopf die schräge Felswand. Sie wankte, hielt sich aber aufrecht und schien über den nächsten Treffer nachzudenken. Doch als ihr nun das Blut in die Augen lief und die Sicht nahm, taumelte sie zum Ausgang.
Im Freien rannte sie direkt gegen Irma. Irma fiel durch den Aufprall auf den Rücken, lag da wie ein hilfloser Maikäfer und konnte nicht gleich wieder auf die Beine kommen. Indieser Sekunde hatte sich Brünnhilde Kurtz das Blut aus den Augen gewischt und blinzelte ins Licht. Als sie sah, wen sie umgeworfen hatte, stürzte sie sich auf sie und legte ihre großen Hände wie Zangen um ihren Hals. Irma strampelte und bäumte sich auf, konnte aber die große durchtrainierte Frau nicht abschütteln. Sie fühlte den Griff, der sich langsam, aber stetig zusammenzog und stürzte in ein schwarzes Loch.
Leo merkte von alldem nichts, denn er war damit beschäftigt, Line zu trösten und zu beruhigen. Das war ihm wichtiger, als diese dämonische Frau Kurtz zu verfolgen.
Doch Line, nach der langen Dunkelheit auf Geräusche sensibilisiert, krächzte mit ihrer vor Durst rauen Stimme: »Schnell, Leo, geh nachschauen, was da draußen los ist. Bitte!«
Leo lief vor den Eingang und erfasste die Lage mit einem einzigen Blick. Er riss Brünnhilde Kurtz, die über Irma gebeugt war, hoch und drehte ihre Arme nach hinten. Doch er hatte schon wieder die Kraft dieser Frau unterschätzt. Unversehens entwand sich ihm ihr geschmeidiger Körper, entglitt ihm, als hätte er einen glitschigen Fisch festgehalten. Als er einen besorgten Blick auf Irma warf, die reglos auf dem Boden lag, landete Frau Kurtz’ Faust gezielt zwischen seinem Brust- und Lendenwirbel und ließ ihn wimmernd vornüberkippen. Dann spürte er ihren Fuß auf seinem Rücken. Ihr Gewicht lag bleischwer auf seiner Wirbelsäule. Leo meinte, ihm würden gleich die Bandscheiben herausspringen, und stöhnte. Brünnhilde stimmte ihr tiefes kehliges Gelächter an und ließ nicht locker.
Als Leo plötzlich eine Stimme hörte, dachte er, er sei vor Schmerzen nicht mehr bei Sinnen oder er träume. Die Stimme befahl etwas auf Spanisch, und Leo kam nur langsam zum Bewusstsein, was diese Stimme gerufen hatte: »Hände hoch, oder ich schieße!«
Brünnhilde Kurtz machte einen Satz zurück und rannte los. Auch der erneute Ruf: »Stehen bleiben, oder ich schieße!«, beeindruckte sie nicht – sie galoppierte wie eine vonHunden verfolgte Vollblutstute über die Wiese. In wenigen Minuten hatte sie fast den Waldrand erreicht und würde im nächsten Moment im undurchdringlichen Dickicht verschwinden.
Fernández war sich klar, zu wenig Leute zu haben, um sie verfolgen zu können. Er entsicherte seine Dienstpistole, zielte auf ihre Beine und drückte ab. Brünnhilde schrie auf. Sie stolperte und stürzte.
In diesem Moment tauchte ein zweiter Polizist auf, der zu Brünnhilde lief, die auf allen Vieren zu flüchten versuchte. Mit einer letzten Anstrengung, sich zu retten, landete ihre Faust auf dem Auge des jungen Polizisten.
Danach musste sie endgültig aufgeben. Die Handschellen klickten.
Fernández sagte einen Satz auf Deutsch zu ihr. Die Worte kamen etwas mühsam über seine Lippen, waren aber verständlich, klangen stolz und selbstgefällig: »Señora Kurtz, ich Sie verhaften aus Grund Menschenraub und aus Grund Mordversuch, mehrfachen.«
Danach sagte er es noch einmal auf Spanisch.
Die Dorfbewohner, die gemeinsam mit der Polizei vollzählig auf der Wiese vor dem alten Weinlager erschienen waren, klatschten Beifall.
Brünnhildes Antwort klang wie das Heulen einer wütenden Hyäne.
Irma hatte sich von Brünnhildes Attacke halbwegs erholt und stand wieder senkrecht. Mit Hilfe ihres Dorfdolmetschers erklärte sie Fernández die Ereignisse der letzten Stunden.
Nicht nur wegen des Streifschusses, den Brünnhilde an der Wade erlitten hatte, sondern auch wegen der Wunde, die von ihrem Zusammenprall mit der Felswand in der Höhle stammte, forderte Fernández einen Krankenwagen aus Inca an.
Keine halbe Stunde danach wurde Brünnhilde Kurtz auf eine Krankenliege festgeschnallt. Ihre gefesselten Händezuckten. In ihrem Gesicht klebte ein irres Lächeln. Seit dem
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