Lemberger Leiche
Schuss hatte sie noch kein Wort gesprochen.
Leo hatte sich die ganze Zeit über um Line gekümmert. Sie hatte viel Wasser getrunken und ein Stück des von Brünnhilde gestohlenen Kuchens gegessen, aber alles wieder von sich geben müssen. Da sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, bestand Leo darauf, dass sie mit ins Krankenhaus fahren und sich dort untersuchen lassen sollte.
Das Polizeiauto, das dem Krankenwagen mit Brünnhilde Kurtz folgte, nahm Line und Irma mit.
Leo ging mit einem Pulk aufgeregt schwadronierender Einheimischer zurück ins Dorf. Nachdem ihm ein junger Mann den Weg zur Autobahn aufgezeichnet hatte, gelangte er ohne Umwege nach Cala Major und wartete dort auf Irma.
Er hatte ihr versprochen, vom Hotel aus für den nächsten Tag zwei Flüge nach Stuttgart zu buchen. Denn Irma wollte so schnell wie möglich zurück, und Leo war der Meinung, es sei für Line das Beste, wenn auch sie sofort nach Hause flog.
Als der Krankenwagen und das Polizeiauto das Hospital erreicht hatten, wollte Irma nichts mehr mit Brünnhilde Kurtz zu tun haben. Das war auch nicht mehr nötig. Irma wusste, dass diese, sobald ihre Wunden versorgt waren, nach Palma in Polizeigewahrsam gebracht werden würde. Sie wollte sich jetzt nur noch um Line kümmern und verabschiedete sich von Fernández.
Nachdem Line gründlich untersucht worden war, stand fest, dass ihr offensichtlich nichts als Schlaf und etwas zu essen fehlte. Sie bekam Fencheltee und Zwieback und nach jedem Schluck und jedem Bissen ging es ihr besser, auch wenn sie dabei Mühe hatte, wach zu bleiben. Der Arzt riet ihr, noch eine Nacht zur Beobachtung auf der Station zu bleiben. Line war so müde, dass ihr alles recht war. Sie schlief ein, bevor Irma gegangen war.
Irma ließ sich von einem Taxi nach Cala Major bringen, wo Leo auf sie wartete. Er hatte die Flüge bereits gebuchtund war gut gelaunt. Als er aber erfuhr, dass Line noch im Krankenhaus hatte bleiben müssen, fiel seine Stimmung in den Keller. Irma konnte ihn nur schwer beruhigen, aber sie versicherte ihm, der Arzt habe versprochen, Line am folgenden Morgen zu entlassen.
»Sie muss sich ausschlafen«, sagte Irma. »Ich wette, morgen ist sie wieder fit.«
Obwohl der vergangene Tag ein gutes Ende gefunden hatte, war er doch unendlich lang und grauenvoll anstrengend gewesen. Irma und Leo sehnten sich beide nach nichts weiter als nach einer Dusche und einem traumlosen Tiefschlaf.
Sechzehn
Montag, 12. Juli
Irma schlief bis kurz vor neun Uhr. Die Geräuschkulisse des Hotels hatte sie in dieser Nacht nicht stören können.
Auf dem Tisch lag eine Nachricht:
Hallo Irma, ich hole Line aus dem Krankenhaus ab. Bringe sie ins Hotel und später zum Flugplatz. Anschließend muss ich ins Fitness-Studio
.
Gruß, Leo
.
Irma vermisste schmerzlich einen kleinen Hinweis darauf, dass er ihren Abschied bedauerte und sie noch gern hatte. Sie seufzte drei Mal tief durch, ging in den Frühstückraum und löffelte appetitlos ein Müsli. Anschließend packte sie ihren Rucksack.
Wieder eine Taxifahrt. Diesmal nach Palma aufs Polizeipräsidium, wo sie gemeinsam mit den spanischen Kollegen die Ermittlungen der letzten Tage protokollierte. Wegen der Sprachprobleme dauerte das ziemlich lange. Zuletzt erledigte Irma die Formalitäten hinsichtlich Brünnhilde Kurtz’ Auslieferung nach Deutschland. Sie legte Chefinspektor Fernández ans Herz, die Prozedur zu beschleunigen, damit in Stuttgart mit den Verhören begonnen werden könne.
Schmoll anzurufen hatte Irma keine Lust, weil sie nicht wusste, wie sie ihm den gestrigen Tag schildern sollte. Ihr graute vor seinen Vorwürfen, was alles hätte passieren können und wie leichtsinnig sie wieder einmal gewesen sei. Irma entschloss sich, Schmoll vorläufig keine Details zu erzählen.
Als Irma auf dem touristenüberfüllten Airport ankam, war Line schon da. Sie wartete beim Check-in. Die beiden umarmten sich wie zwei, die den Untergang der Titanic überlebthatten. Da sie noch eine Stunde Zeit hatten, setzten sie sich an einen Imbissstand und aßen zum letzten Mal Tapas.
Line war ein bisschen stiller, als es sonst ihre Art war, aber nicht mehr so bleich wie am Tag zuvor. Wenn man ihren Gesundheitszustand an ihrem Appetit maß, war sie wieder in Ordnung.
Mir vollen Backen entschuldigte sie sich für ihren Heißhunger: »Schließlich habe ich eine tagelange Fastenzeit hinter mir.« Es schauderte sie, und sie wisperte: »In zwei verschiedenen Verliesen!«
Irma zögerte es hinaus,
Weitere Kostenlose Bücher