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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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sprungbereit auf der Decke liegt; es ist nichts als ein vollkommen harmloser weißer Handschuh. Nestor Balint ist
Unter den Ulmen
, schießt es dem Lemming durch den Kopf. Nestor Balint ist zurückgekehrt. Und nicht nur das: Der Killer vom Naschmarkt hat ihn, den Lemming, hier in der Klinik gesehen und wiedererkannt. Ob nun heute Morgen, als er bewusstlos ins Haus getragen wurde, oder zu Mittag, als Ines und Theo ihn quer durchs Gelände bugsierten: Ein ums andere Mal hat er auf dem Präsentiertellergelegen; Balint musste nur die Augen aufsperren, während er sich selbst heimtückisch hinter den Gardinen von
Walhall
verbarg. Theos lahmer Scherz vom
Essen auf Rädern
scheint der Wahrheit also ziemlich nahe zu kommen. Und nun? Was hat er nun vor, der verrückte Musikant, der nicht nur Töne, sondern auch Menschen punktgenau zu treffen vermag? Will er den einzigen Zeugen seines Verbrechens nun auch in den Wahnsinn treiben, ihn zu seinesgleichen machen? Oder will er ihn warnen, ihn bedrohen, um ihn von hier zu verscheuchen? Letzteres wäre zwar nahe liegend, aber es passt nicht so recht zu dem Eindruck, den der Lemming von Balint gewonnen hat: Der kleine Mann scheint niemand zu sein, der seine Schritte lange plant, bevor er handelt. Impulsive Menschen pflegen nicht erst dreimal um die Ecke zu denken, ehe sie ihren nächsten, gefinkelten Schachzug machen. Und impulsiv, das ist sie ja wohl, die irre, vor Eifersucht geifernde Oblatenstirn; so viel steht außer Frage. Und noch etwas steht fest: Der Handschuh unter dem Kissen des Lemming ist nicht einfach nur ein Handschuh, er ist ein Zeichen, eine Kriegserklärung, ein Fanal des bevorstehenden Kampfes. Er ist ein
Fehdehandschuh
.
    Trotzdem schleichen sich Zweifel in die Überlegungen des Lemming ein: Ist es möglich, dass Balint einfach so ins Sanatorium zurückgekehrt ist, ganz selbstverständlich, als wäre er nur mal eben Zigaretten holen gewesen? Dass er mit einem nonchalanten
Hallo allerseits
sein Zimmer wieder bezogen hat? Sicherlich nicht: Ein solches Maß an Kaltblütigkeit ist dem Mörder vom Naschmarkt schwerlich zuzutrauen. Kann Balint andererseits zurückgekommen sein, ohne von Ärzten, Schwestern und Mitpatienten erkannt zu werden? Ist er etwa bei Nacht und Nebel über die Mauer geklettert und hält sich nun in einem vergessenen Winkel der Klinik versteckt? Wie könnte er dann am helllichten Tag seinen Handschuh insZimmer des Lemming geschmuggelt haben? Oder ist es gar jemand anderer gewesen, der in seinem Auftrag   …
    «Schwester!»
    Der Lemming läuft den Flur entlang, reißt eine Tür auf. Wieder ein Krankenzimmer: drei Betten, drei knochige, greisenhafte Gesichter, kahle Köpfe, leere Blicke, die zur Decke stieren.
    «Entschuldigung   …» Der Lemming hastet weiter, sucht, probiert, drückt Klinke um Klinke. Nach einer flüchtigen Inspektion der Abstellkammer und einem Besuch im Wäschelager findet er endlich die richtige Tür:
Schwesternzimmer
steht in kleinen, schwarzen Lettern darauf geschrieben. Ohne anzuklopfen, stürzt der Lemming in den Raum.
    Es ist ihm egal. Egal, dass er stört, egal auch, dass er sieht, was er nun sehen muss: einen weinroten Diwan, darauf ein Paar weit gespreizter, wabbelnder Schenkel, zwischen denen ein haariger Hintern pumpt. Der Mann, dem er gehört, kommt offensichtlich auch gerade. Er verharrt in kurzer Erstarrung, grunzt ein wenig und lässt sich erschöpft auf den massigen Weiberleib sinken, der unter ihm liegt.
    Im Gegensatz zu Frauen sehen Männer beim Geschlechtsakt immer lächerlich aus. Ihre kleinen, zitternden Backen, ihre nervösen Bewegungen entbehren jeder Ästhetik, jeder Erotik, jeglicher
Männlichkeit
. Wie sie es auch anstellen mögen: Ihre grotesken Posen, ihre spastischen Verrenkungen wirken auf den unbeteiligten Betrachter wie der krampfhafte Versuch, mit Stumpf und Stiel dahin zurückzukriechen, woher sie einst gekommen sind. Wenn der Mensch auch hinten eine Zunge hätte, würde sie dem Mann im Moment seiner höchsten Erregung aus dem Arschloch hecheln wie die eines durstigen Hundes.
    Es ist ihm egal. Völlig egal. Trotzdem tritt der Lemming jetzt den Rückzug an, stiehlt sich leise aus dem Zimmer, bevorihn das verschwitzte Paar bemerkt. Geht mit verschränkten Armen auf dem Flur auf und ab, lässt die Zeit verstreichen. Er tut es weder aus Abscheu noch aus Diskretion; er zieht sich zurück, weil plötzlich und unerwartet ein ähnliches, aber weit ekelhafteres Bild vor seinem inneren Auge erschienen

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