Lena Christ - die Glueckssucherin
Kapotthütchen.«
In allen Büchern schenkt Lena Christ der Kleidung ihrer Figuren große Aufmerksamkeit. Detailliert beschreibt sie in den Erinnerungen , wie die kleine Lena von der Großmutter für die Stadt ausstaffiert wird. In München lernt die Heranwachsende schnell, was ihr gut steht, wie sie sich ins rechte Licht setzen und einen bestimmten Effekt erzielen kann. In ihrem Roman Die Rumplhanni lässt die Autorin die Protagonistin diese Kenntnisse zur Selbstinszenierung nutzen: »Also steht sie gleich nach der Mittagszeit droben in ihrer Kammer, wäscht und schrubbt an sich herum, kleidet sich vom Fuß bis zum Kopf nagelneu und betrachtet endlich befriedigt ihr Spiegelbild. In dem einfachen schwarzen Lüstergewand mit dem feinen weißen Spitzenkragen, dem soliden Hut und dem sauberen Schuhwerk sieht sie besser aus als manche Bürgerstochter, die in Modefähnchen und auf überspannten Stöckelschuhen einhertrippelt.«
Je größer die Freude an etwas Schönem ist, umso schmerzlicher wird der Verlust. In diesem Zusammenhang waren zwei Kindheitserlebnisse für Lena Christ besonders einschneidend. Sie folgen dem gleichen Muster: Zuerst bekam sie etwas, das sie beglückte, dann wurde es ihr wieder weggenommen – aus für sie nicht nachvollziehbaren Gründen. Ob das tatsächlich aus praktischen oder erzieherischen Erwägungen geschah oder ein gezieltes Zufügen von Verletzungen war, ist nicht klar zu erkennen.
Unter Lenas Weihnachtsgeschenken befand sich eine Puppe, »die so groß wie ein zweijähriges Kind war und einen wunderschönen wächsernen Kopf mit echtem Haar hatte«. Doch gerade ihre Begeisterung für das außergewöhnliche Geschenk wurde Lena zum Verhängnis: Weil sie so viel damit spielte, nahm ihr die Mutter die Puppe zu Ostern wieder weg und überließ sie der Großmutter für ihre Kostkinder. Die Begründung lautete, Lena müsse lernen, ihre Zeit nicht zu vertrödeln. Es gäbe Sinnvolleres für ein Mädchen ihres Alters zu tun. Natürlich hob die Großmutter die Puppe für Lena in der Künikammer auf.
Noch größer war eine zweite Kränkung: Ihr weißes Firmkleid, das sie am Morgen in der Kirche voller Stolz getragen hatte, wurde noch am selben Tag an einen Verwandten weitergegeben, der es für seine Tochter haben wollte. Und so blieb Lena nichts anderes übrig, als in ihrem alten Sonntagskleid in den Methgarten an der Schwanthalerstraße zu gehen, »wo die andern Firmlinge in ihren weißen Kleidern und mit der offiziellen Firmuhr prangten und mich verächtlich von der Seite ansahen und von mir wegrückten«. Diese Enttäuschung als »die bitterste, die ein Mädchen in diesem Alter erleben kann« zu bezeichnen, ist keine Übertreibung. Die Firmung bedeutete für Lena ein wichtiges Ereignis, dessen strahlende Hauptperson sie selbst in ihrem schönen weißen Kleid war. Doch mitten im Moment größter Freude wurde das helle Scheinwerferlicht, das auf sie gerichtet war, wieder ausgeknipst. Das Fest hatte ein vorzeitiges Ende gefunden, nun musste die gewohnte Alltagsbeleuchtung genügen. Sie war gewaltsam aus dem Licht in den Schatten gedrängt worden.
4
Das wilde Kind
Im Sommer 1913 fuhr Lena mit ihren beiden Töchtern nach Glonn, um ihnen den Ort und die Umgebung zu zeigen, wo sie aufgewachsen war. Nach ihrer Heirat mit Peter Jerusalem hatte sie die zehn und sieben Jahre alten Mädchen aus dem Heim in ihr neues Zuhause geholt. Als sie nach einigen Wochen wieder zurück nach München kam, erschien sie ihrem Ehemann verjüngt und gestärkt. Sie berichtete ihm freudestrahlend: »Du, die Leut mögen mich gern!« Jerusalem antwortete, das überrasche ihn nicht, man müsse sie doch einfach gern haben, worauf sie erklärte: »Ja, weißt, die Alten wissen noch genau, was für ein Lausdirndl ich war.« Daraus schloss er, dass sie wirklich einiges angestellt haben musste, wenn man sich nach über zwanzig Jahren noch an sie erinnern konnte. Das bestätigt Hans Obermair, der mit einigen Glonnerinnen und Glonnern gesprochen hat. Die Buchbindertochter Julia Gruber berichtete, Lena Christ habe bei diesem Sommeraufenthalt häufig ihren Vater besucht und ihm viele Fragen gestellt. Damals recherchierte sie für ihren Roman Mathias Bichler . Sie sei »ein lustiges Ding« gewesen und habe eine »Gretlfrisur« getragen, doch ihr Vater habe gesagt, dass sie lüge, »wie halt Schriftsteller sind«. Als kurz darauf die Lausdirndlgeschichten erschienen, schlossen sich viele Glonner Bürger dem Vorwurf der Lüge an. Es
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