Lena Christ - die Glueckssucherin
Jerusalem. »War der Wert auch nicht groß, so war die Liebe, mit der jedes dieser Dinge gemacht war, um so größer und ein steter Quell der Freude.« Jerusalem bewunderte ihre Sicherheit »in allen Dingen des Geschmacks, was insonderheit die Erzeugnisse der schönen Literatur und des Kunsthandwerks betraf«. Da sei sie von einer »angeborenen, geradezu nachtwandlerischen Sicherheit des Urteils« gewesen und habe ihm Nachhilfeunterricht in Sachen Ästhetik erteilt.
1912 beschloss das Paar zu heiraten. Es war Lenas Glücksjahr – sie hatte ihr erstes Buch fertiggestellt, die Lungenkrankheit auskuriert, der Albert Langen Verlag hatte das Manuskript der Erinnerungen angenommen und damit die nahe Zukunft gesichert. Natürlich mussten auch neue Möbel für die Wohnung in der Wilhelm-Düll-Straße, unweit des Nymphenburger Kanals, her: Jerusalem kaufte bei einem Trödler einen Bauernschrank und eine Kommode, die aus dem 18. Jahrhundert stammten und nicht teuer waren. Er ließ sie von einem befreundeten Schreiner herrichten, dann strich er sie dunkelblau an, und Lena bemalte sie mit Blumen. Doch dabei ließ sie es nicht bewenden, »sondern auch das Antlitz einer heiligen Agnes zauberte sie auf das Kopfteil meines alten, nun blau gestrichenen Bettes«. Ihr zeichnerisches und malerisches Talent war jederzeit abrufbar. »Die Heilige blickte, als alles fertig war, ganz holdselig auf ein Lämmlein hernieder, das vor ihr auf einem Gebetbuche lag«, berichtet Peter Jerusalem.
Er staunte nicht nur über Lenas Begabung und ihren Einfallsreichtum, sondern zugleich über deren praktische Umsetzung und die Fähigkeit zur Improvisation: Zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als sie sehr eingeschränkt wirtschaften mussten, hatten sie einmal den Programmleiter des Albert Langen Verlags Korfiz Holm und seine Frau zum Abendessen bei sich zu Gast. Es gab Gänsebraten, gedünstete Äpfel und Erdbeerbowle. Zwar besaßen sie kein Bowlengefäß und hatten – weil die Gans teuer gewesen war – nicht mehr viel Geld zur Verfügung, doch Lena wusste sofort Rat, kaufte ein billiges Tongefäß und bemalte es mit Ölfarben. Sie waren noch übrig geblieben vom Anstrich der Bauernmöbel. Nach nur einer Stunde hatte sie ihr Werk vollendet: eine Fronleichnamsprozession mit Pfarrer, Ministranten, Bauern und Bäuerinnen. Ganz zum Schluss – unter dem Henkel des Gefäßes – folgte ein einzelner Bauer, der eine Sau vor sich her trieb. Viele Jahre lang erfreute dieses Objekt seine Schöpferin und ihre Gäste. Nahezu all ihre Kunstwerke, so Jerusalem, seien witzig und originell gewesen und hätten die Betrachter heiter gestimmt.
Lena Christ wusste, welche Macht schöne Dinge haben. Sie spürte deren Wirkung an sich selbst, fühlte sich aufgewertet und ausgezeichnet. Mehr noch: Schönheit verstand sie als Glücksversprechen. Schönheit war beständig und harmonisch, nicht launisch und unberechenbar wie die Menschen. Sie gab Ruhe. In ihrem Film Heimat und Sehnsucht nennt Evita Bauer die Künikammer einen emotionalen Raum. Den hat Lena Christ weitergegeben: über ihre Tochter an ihre Enkelin. In Erika Schneiders Wohnung befand sich bis zu ihrem Lebensende ein Glasschrank, dessen Inhalt von der Familie fast wie ein Heiligtum betrachtet wurde. Lena Christs Schätze wurden darin nicht nur aufbewahrt, sondern ausgestellt, arrangiert, inszeniert: Ketten, Ohrringe, Haarnadeln, Geschirr, Gläser, Porzellanfiguren, der Rosenkranz, die Riegelhaube, die Wachsmodeln und die selbst gefertigten Puppen aus Wolle.
8 Riegelhaube, Ohrringe, Haarnadeln, Glas aus Lena Christs Sammlung
Die Sammlung zeigt eine eigenwillige Handschrift. Lena Christ hat Gegenstände und Preziosen zusammengetragen, die jede für sich eine Geschichte erzählen könnten. Es ging der Sammlerin nicht um den materiellen Wert, sondern um das, was die Dinge für sie bedeuteten. Sie holte sich damit ein Stück weit die Künikammer aus dem Hansschusterhaus zurück in ihr jeweiliges Münchner Heim. Einige Gegenstände aus der Glasvitrine findet man in ihren Werken wieder, wie die Gläser mit der Aufschrift »Lebe glücklich!« in den Lausdirndlgeschichten und den Erinnerungen einer Überflüssigen . Darin schildert sie auch, wie ihre Mutter und die Nachbarin den Stoff für ihr Hochzeitskleid aussuchten. »Also machten sie sich auf den Weg, eine jede starrend in Seide und blitzend im Schmuck der Nadeln, Ringe und Spangen, die an Glanz wetteiferten mit den langen Perlenfransen der Mantillen und
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