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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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sogenannte Besessene. Auch finden bei uns arme, kranke und missgestaltete sowie blöde, krüppelhafte und missratene Kinder eine Stätte zur allseitigen Pflege und Bildung.« Dem Orden gehörten 500 Professschwestern, 200 Novizinnen, 300 Lehr-, Pflege- und Arbeitsschwestern, 120 Lehramtskandidatinnen, 10 Handarbeits- und 6 Musikkandidatinnen sowie 15 Kandidatinnen für Hausarbeit und Küche an. Anschließend wandte er sich Lenas guten Zeugnissen zu, lobte sie und kündigte eine Prüfung an, um festzustellen, wofür sie sich eigne. Er versicherte ihr, sie könne innerhalb der ersten fünf Jahre das Kloster verlassen, wenn es ihr hier nicht gefalle. Lena antwortete ihm, sie habe fest vor zu bleiben.
    Schon am ersten Tag erfuhr sie, dass alles, was im Kloster zu tun war, von den Nonnen verrichtet wurde, »auch die Ökonomie und Metzgerei sowie alle Handwerke, deren das Kloster bedürfe«. Während Lenas Neugier dadurch wuchs, wurde ihre Mutter zusehends stummer und nachdenklicher angesichts der neuen Umgebung, die sie sich ganz anders vorgestellt hatte. Die Begegnung mit all den Kranken und Behinderten hatte sie irritiert, ja entsetzt. Vielleicht war das der Grund dafür, dass die harte und unabhängige Frau sich nun mit ihrer Tochter solidarisierte, zumindest für Momente Verbundenheit und Verantwortlichkeit spürte. Sie forderte Lena auf, ihr zu schreiben, falls sie es im Kloster nicht mehr aushalten könne. Auf diese unerwartete Zuwendung reagierte die Tochter hochemotional: »Ich gab ihr noch Grüße auf an alle, die mir lieb waren; dann schlang ich plötzlich meinen Arm um ihre Knie, drückte laut aufweinend meinen Kopf in ihre Kleider und lief danach, so rasch ich konnte, an die Pforte und läutete fest, ohne mich noch einmal umzuschauen.« Lena hatte erkannt, dass diese Trennung den endgültigen Abschied von ihrer Kindheit bedeutete, und klammerte sich an ihre Mutter – als Versuch einer Aussöhnung. Es ist die einzige Umarmung zwischen Mutter und Tochter, die in den Erinnerungen vorkommt.
    Nach Auskunft des Klosterarchivs, so berichtet Marita A. Panzer in ihrer dokumentarischen Biografie Lena Christ. Keine Überflüssige , wurde Lena Christ am 4. Dezember 1898 als Lehrkandidatin in die klösterliche Lehrerbildungsanstalt aufgenommen und schied zum 1. März 1900 aus. Weitere Angaben lauteten, ihr Vater sei verstorben, ihr zweiter Vater Josef Isaak Gastwirt. Vom ersten Vater sei kein Vermögen vorhanden, vom zweiten Vater habe sie das Erforderliche mitbekommen. Ihr Gesundheitszustand wurde als »gut« bezeichnet.
    Zunächst stufte man Lena in den zweiten Kurs des Seminars als Lehramtsschülerin ein. Doch schon zwei Wochen später, nachdem man ihre Musikalität und ihre schöne Stimme entdeckt hatte, wurde sie Musikkandidatin. Bei ihrem Einstand begegnete man ihr mit großer Freundlichkeit: Die anderen Kandidatinnen und die Schwestern machten sie gleich am ersten Tag mit den Gepflogenheiten der Einrichtung vertraut. In ihren Erinnerungen unterbricht Lena Christ die Schilderung ihres fünfzehnmonatigen Klosteraufenthalts eingangs mit einem vernichtenden Urteil und nimmt das Fazit dieser aussichtsreichen Fluchtlinie vorweg: »Später freilich erkannte ich meinen Irrtum: Es war alles nur Drill und von wahrer Güte wenig zu finden: Bigotterie paarte sich mit Stolz, Selbstsucht mit dem Ehrgeiz, vor den Oberen schön dazustehen und als angehende Heilige bewundert zu werden.«
    Wie alle Neuankömmlinge bekam sie eine ältere Kandidatin als »Schutzengel« zugeteilt. Deren Betreuung bestand in Ermahnungen, sich nicht zu weltlich zu gebärden, nicht zu fröhlich zu sein und körperliche Kontakte wie Umarmungen zu vermeiden. Es war sogar verboten, sich bei den Händen zu fassen, weil das die »heilige Reinheit« gefährden könnte. Nach der Abendandacht wurde Lena in den Schlafsaal geführt. Ihr Schutzengel überreichte ihr einen Zettel mit der Aufschrift: »Von neun Uhr abends bis sieben Uhr morgens strengstes Stillschweigen!« Das Ausziehen der Tageskleidung und Anziehen des Nachthemds geriet zur Slapsticknummer, denn dabei durfte kein Stück nackte Haut sichtbar werden. Die Erziehung zu einem sittsamen Kind Gottes verlangte, dass Strümpfe und Unterrock erst unter der Bettdecke abgelegt wurden. Während all dieser Aktionen wurde laut gebetet. Auch das Baden musste erlernt werden. Man stieg nicht nackt, sondern mit Hemd und Strümpfen bekleidet in die Wanne. Die Strümpfe durften im Wasser ausgezogen werden, nicht aber

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