Lena Christ - die Glueckssucherin
heirat aus Liebe«, versicherte er ihr. Während sie sich noch Bedenkzeit ausbat, schwelgte die Mutter schon in Rührseligkeit – »so a Glück, ha, so a Glück«. Sie sparte weder mit Lob noch mit guten Wünschen und schob ihre Tochter in die Arme des Verehrers, der freudig überrascht war, sich bedankte und vorschlug, die Verlobung zu feiern.
Für Momente wie diesen, in denen sie sich überrumpelt, überfordert fühlte, hatte Lena eine besondere Technik entwickelt: Sie blendete sich aus der Szenerie aus, stellte sich selbst ins Off. Doch gleichzeitig fürchtete sie die Erfahrung des Abgetrenntseins und suchte schnell wieder einen Anker zurück in die Realität. Sie fuhr mit ihrer Arbeit fort und klammerte sich an den Gedanken: »Ob ich wohl ein seidenes Brautkleid kriegen würde?«
Sie fügte sich in das Unvermeidliche und konzentrierte sich dabei nur auf das, was sie selbst interessierte. Dabei war ihr der Verehrer, der gerade zum Verlobten geworden war, nicht unsympathisch. Auch hatte sie nichts dagegen zu heiraten, es war nun einmal die Bestimmung der Frau und Voraussetzung für ein »glückliches Leben«. An den konkreten Vorschlägen des Zukünftigen wurde deutlich, wie viele Gedanken er sich schon gemacht, wie gut er sich vorbereitet hatte. »Ich sagte zu allem ja«, heißt es in den Erinnerungen . Seine Augen glänzten »von Wein und Liebe«, sodass Lena auf seine Frage, ob sie ihn nicht ein bisschen gern haben könnte, lachend antwortete: »Ja, ja! I wer dei Frau und mag di.« Mit einem Abschiedskuss, der ihn beinahe zum Stolpern brachte, wurde das Heiratsversprechen fixiert. Doch nachdem er gegangen war, dachte Lena nicht mehr an ihn. Die Hochzeit selbst war ihr wichtig, das Ereignis, aber nicht der Mann. Von Verliebtsein oder Leidenschaft ist erstaunlicherweise überhaupt keine Rede. Schließlich hatte sie sich ihren Bräutigam selbst gewählt. Etwas an ihm muss ihr also gefallen haben. Hier drängt sich der Verdacht auf, sie habe die eigenen Gefühle nachträglich bagatellisieren wollen. Denn als sie die Erinnerungen schrieb, kannte sie den Verlauf und das Ende der Ehe. Diese Kenntnis bestimmt ihre Darstellung und gibt dem jungen Paar – in der Literatur – von Anfang an keine Chance.
Die Planungen überließ Lena ihrer Mutter. Am nächsten Abend wurde sie mit ihren Eltern vom Hochzeiter in den Löwenbräukeller eingeladen. Die Mutter kleidete sich aufwendig und schmückte Lena mit einer wertvollen Halskette und einem protzigen Armband. Dann schenkte sie ihr einen Ring, der mit Türkisen und Perlen besetzt war und den sie von ihrem Vater bekommen hatte. Zum ersten Mal während der Hochzeitsvorbereitungen empfand Lena Glück – sie fühlte sich mit ihrem verstorbenen Großvater verbunden, der Ring »war das einzige, was von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war«. Seine Bedeutung übertraf bei Weitem jene der Verlobungsringe, die ausgetauscht werden mussten. Für Lenas Mutter stand bei den kommenden Anschaffungen fast immer der Wert im Vordergrund. Der Welt demonstrieren, wer man ist und was man hat, war ihr oberstes Ziel. Das Wort protzen kommt auf diesen Seiten der Erinnerungen häufig vor. Lena war ratlos, fühlte sich wie in einem Theaterstück, ohne ihre Rolle auswendig gelernt zu haben. Doch sie wusste sich zu helfen, denn im richtigen Moment fiel ihr eine Romansequenz ein, in der die Heldin eine ähnliche Situation erlebte. Also orientierte sie sich an deren Verhalten: »Ich errötete, sah verwirrt zu Boden und flüsterte verliebt: ›Ah, wie herzig!‹« Was sie dann zu hören bekam, konnte sie kaum glauben: Die Mutter lobte sie vor dem Bräutigam, der von ihren guten Eigenschaften und Fähigkeiten entzückt war. Die beiden sprachen nicht mehr mit ihr, sondern nur noch über sie. Lena wurde sich selbst überlassen. Einsam habe sie den Verlobungsring betrachtet und ihren Blick über die Gäste gleiten lassen. Es war wie ein Traum, alles um sie herum war unwirklich und künstlich.
12 Haus der Schwiegereltern in der Sandstraße 3
Am folgenden Tag wurde sie den Schwiegereltern vorgestellt. Die Aussicht auf diese Begegnung bereitete ihr eine schlaflose Nacht. Aber ihr Lampenfieber erwies sich als überflüssig, sie wurde warmherzig und freundlich aufgenommen. Familie Leix wohnte in derselben Straße wie Familie Isaak. Ihr gehörte das Haus in der Sandstraße 3, in welches das junge Paar einziehen sollte. In den Erinnerungen bemerkt Lena, dass die zukünftigen
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