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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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werden?«
    »Ein Junge«, antwortete Nadja überzeugt.
    »Dann wird’s auch einer«, versprach Walja und erklärte ihr, wie sie bei der Entbindung zu atmen, zu pressen und sich zu entspannen habe.
    Oxana kam und kam nicht. Als Walja aus dem Fenster schaute, sah sie die Schwester auf dem Hof stehen. Sie rauchte und schwatzte angeregt mit einem der Wachmänner. Walja kletterte aufs Fensterbrett und rief durch die offene Lüftungsklappe: »Oxana! Wo bleibst du denn?!«
    »Ich komm’ ja schon!« Oxana rauchte in aller Ruhe ihre Zigarette zu Ende und ging dann ins Haus zurück. Walja wollte sich das Mädchen noch einmal anschauen, das bereits vor Schmerzen stöhnte. Nun geriet sie selbst in Hektik.
    »Los, Nadja, auf den Wagen. Jetzt wird es ernst.«
    In diesem Augenblick erschien Oxana mit roten Wangen lächelnd in der Tür.
    »Wozu die Umstände – zum Kreißsaal gefahren werden!« rief sie empört. »Bist du vielleicht eine Königin? Du gehst auf deinen eigenen zwei Beinen hin!« fügte sie im Kommandoton hinzu. »Und hör endlich auf zu schreien.«
    »Leg die Instrumente zurecht, Oxana«, erklärte Walja. »Ich fahr’ sie hin.«
    »Ach, wie mitfühlend!« höhnte Oxana.
    Der Junge, den Walja zwanzig Minuten später auf dem Arm hielt, pinkelte ihr als erstes auf den Kittel. Als sie dann das Neugeborene und die selig lächelnde achtzehnjährige Mutter anschaute, hätte sie am liebsten losgeheult. Es war das erste Kind, das sie, Walja Schtscherbakowa, entbunden hatte, und alles war gelaufen wie nach dem Lehrbuch.
    Bis zum Ende des Nachtdienstes blieb noch eine Stunde.
    »Walja, ich geh’ nach Hause, ja?« erklärte Oxana und gähnte, was das Zeug hielt. »Ich kann nicht mehr, ich schlafe schon im Stehen ein.«
    »Geh nur«, antwortete Walja großmütig.
    Den in Windeln verpackten Knirps, der endlich eingeschlafen war, trug sie ins Zimmer der Neugeborenen, legteihn dort in ein Bettchen und blieb noch eine Weile ganz verzaubert bei ihm stehen. Der Kleine schmatzte und zog lustige Grimassen.
    Die restlichen neun Bettchen waren leer. Merkwürdig, dachte Walja, wie wenig Kinder jetzt bei uns in Lesnogorsk geboren werden. Ob die Mütter zur Entbindung alle nach Moskau fahren?
    Einen solchen Knirps hätten sie gestern beinahe umgebracht, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht ist es gut, daß hier so wenig entbunden wird.
    Zu Hause fiel sie ins Bett und schlief wie tot bis drei Uhr nachmittags. Dann trank sie einen Tee und ging ins nächstbeste Geschäft, damit etwas Eßbares im Hause war, wenn ihre Mutter von der Arbeit kam.
    Vor dem Supermarkt stieß Walja auf ihren Schulkameraden Dmitri Kruglow. Sie waren in einem Hof aufgewachsen. Dmitri besuchte die Schule zwei Klassen über ihr. Er hatte immer die besten Zensuren gehabt, niemals geflucht, nicht im Hausflur getrunken oder Klebstoff geschnüffelt. Jetzt war er schon Unterleutnant bei der Miliz. Walja gefiel er sehr, sie war sogar ein wenig in ihn verliebt …
    Dmitri trug keine Uniform, sondern nur Jeans und Jacke und führte gerade seinen alten Schäferhund Shanna aus.
    »Hallo, Walja! Wie geht’s?« Er lächelte ihr zu.
    »Danke, gut. Kannst du dir vorstellen?« stieß Walja plötzlich, völlig unerwartet für sich selber, hervor, »ich habe heute zum ersten Mal im Leben eine Entbindung durchgeführt.«
    »Gratuliere. Und was war es?«
    »Ein Junge!«
    »Bist du jetzt im Praktikum?«
    »Ja, hier im Krankenhaus, in der Gynäkologie.«
    »Hattest du gestern abend zufällig Dienst?«
    »Hatte ich. Die ganze Nacht.«
    »Da hat man doch eine Frau mit dem Krankenwagen aus Moskau zu euch gebracht. Hast du davon gehört? Poljanskaja heißt sie, Lena.«
    »Woher weißt du davon?« wunderte sich Walja.
    »Sie ist frühmorgens auf unser Revier gekommen. Barfuß, im Nachthemd eures Krankenhauses … Sie hat so eine merkwürdige Anzeige gemacht. Ich habe sie dann noch nach Hause fahren lassen.«
    »Ach, Dmitri, das ist eine sehr unangenehme Geschichte.« Und Walja erzählte ihm alles, was in der vergangenen Nacht passiert war.
    Dmitri hörte schweigend zu, ohne sie zu unterbrechen. Dann fragte er: »Kann das ein Zufall sein? Hat sich ein Arzt geirrt? Ich kann nicht glauben, daß man so etwas absichtlich … Wem nutzt das und wieso?«
    »Darüber zerbreche ich mir auch schon die ganze Zeit den Kopf«, bekannte Walja.
     
    »Habe ich richtig gehört? Das Präparat für mich ist immer noch nicht fertig?«
    »Nein. Aber wir brauchen nur noch ein, zwei Tage.«
    »Ihr seid schon eine

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