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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hier Illusion und Wirklichkeit. Das eigentliche Problem besteht doch darin, an Material heranzukommen. Von wem Sie dasbeschaffen, von dieser Frau oder von einer anderen, interessiert mich nicht. Ist sie denn in ganz Moskau und im Moskauer Gebiet die einzige Schwangere in der richtigen Woche?«
    »Es hat sich nun einmal so ergeben, daß sie die einzige war, die wir hatten. Und sie ist uns weggelaufen. Ich kann doch nicht Jagd auf alle Schwangeren Moskaus und des Moskauer Gebiets machen! Sie hätten eben nicht die ganze Reserve sofort aufbrauchen dürfen.«
    Vollkommen unerwartet für sich sprach Amalia Petrowna mit einemmal so, wie sie es sich noch nie erlaubt hatte und auch nicht hätte erlauben dürfen …
     
    Lena öffnete die Tür mit ihrem eigenen Schlüssel. Der alte Dackel Pinja kam ihr schwanzwedelnd entgegen. Er wollte an ihr hochspringen, schaffte es aber nicht und wieselte nur um ihre Beine, um seiner Freude Ausdruck zu verleihen.
    »Grüß dich, Pinja, mein Guter!« Lena streichelte den Hund, der ihr eifrig die Hand leckte.
    Vom früheren Glanz der Wohnung der Wasnezows war nicht viel geblieben. Hier hatte vielleicht vor zwanzig Jahren zum letzten Mal jemand renoviert. An manchen Stellen hingen die Tapeten herunter, der Stuck fiel von der Decke. In der Küche stand noch ein riesiges Büfett aus dem vergangenen Jahrhundert, aber alles andere stammte aus den sechziger Jahren – Kisten und Kasten auf wackligen Füßen.
    Nach dem Tod ihres Mannes hatte Tante Soja eine merkwürdige Leidenschaft befallen: Sie verkaufte alles, was in ihrem Hause noch von Wert war. Das Tafelsilber, das Porzellan, die Bilder und wertvoller Schmuck nahmen diesen Weg. Sie gab alles für ein Butterbrot weg.
    Anfangs versuchte Lena, ihre Tante davon abzuhalten. Sie verdiente genug, um sich und die alte Frau ausreichend zu versorgen. Und auch Tante Sojas Rente war nicht gar so gering. Aber die überzeugte Kommunistin verkaufte ihre Sachen aus Prinzip. »Man muß sich von dem bürgerlichenKram frei machen!« erklärte sie. Dem hatte Lena nichts entgegenzusetzen.
    Als die Tante gar die Trauringe versetzte, war Lena mit ihrem Latein am Ende. Nun vermutete auch sie, daß es in deren Kopf nicht mehr ganz richtig zuging.
    Tante Soja war nicht zu Hause. Lena zog ihre Stiefel aus, ging zum Telefon in der Küche und wählte die gerade von Goscha erhaltene Nummer. Sie hatte Glück. Krotow nahm selbst den Hörer ab.
    »Hallo, Sergej Sergejewitsch. Mein Name ist Lena Poljanskaja. Ich arbeite bei der Zeitschrift ›Smart‹. Ihre Nummer habe ich von Goscha Galizyn.«
    »Wollen Sie mich interviewen?« fragte eine tiefe, weiche Stimme.
    »Nein, ich möchte Sie um Ihren Rat in einer persönlichen Angelegenheit bitten. Vielleicht ist sie auch nicht nur persönlich. Und sie ist sehr dringend.«
    Im Vorzimmer waren Stimmen zu hören. Pinja bellte. Lena lauschte angespannt. Ihr Gesprächspartner, der das spürte, fragte nicht lange, sondern verabredete sich mit ihr für denselben Abend.
    Lena hatte kaum aufgelegt, da stürzte ihre Tante in die Küche. Hinter ihrem Rücken schauten zwei angeheiterte Gesichter hervor.
    »Guten Tag, Kindchen!« Tante Soja hielt ihr die trockene, kalte Wange zum Kuß hin. »Schön, dich zu sehen. Ich habe endlich Käufer gefunden. Wenn ich das alte Ding nur schon los wäre!« Sie schlug mit der flachen Hand auf das Eichenbüfett.
    Lena sah betrübt zu, wie die beiden Säufer mit Ächzen und Krächzen versuchten, einen der liebsten Zeugen ihrer Kindheit von der Stelle zu rücken. Als sie klein war und die Tante besuchte, war dieses Büfett für sie wie ein Märchenschloß gewesen. Hinter den Türen standen zahllose Tassen und Dosen. Das bunte Glas verwandelte sie in geheimnisvolle Wesen, Ungeheuer, Drachen, Prinzen und Prinzessinnen.Sie konnte stundenlang in der Küche sitzen, die Bewohner des Büfetts durch die bunten Scheiben betrachten und sich ihre Geschichten ausdenken.
    »Tante Soja, das Büfett möchte ich gern haben!«
    »Nein.« Die Tante war unerbittlich. »Man darf sein Herz nicht an diesen Kram hängen. Der nimmt nur Platz weg und lenkt von Wichtigerem ab.«
    Was ist denn das Wichtigere? wollte Lena fragen, aber sie schwieg lieber. Solche Gespräche regten die Tante nur auf. Und mit ihr streiten wollte sie nicht.
    »Tante Soja, ich möchte gern einige Tage bei dir bleiben. Die in der Wohnung gegenüber lackieren ihren Fußboden. Von dem Geruch tut mir der Kopf weh, und ich kann nicht schlafen.«
    »Bleib hier, so

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