Lenas Flucht
Restaurants entdeckte, in der sie sich verabredet hatten, krampfte sich ihm aus einem unerfindlichen Grund das Herz zusammen. Er konnte gar nicht sofort sagen, ob sie schön war oder nicht. In ihrer ganzen Gestalt, in den feinen Zügen des schmalen Gesichts erblickte er etwas unbeschreiblich Weibliches, rührend Schutzloses.
Nach der Scheidung von Larissa, nach all den hysterischen Szenen, die er erlebt hatte, konnte er sich Frauen nur noch schreiend, schluchzend und wilde Beschimpfungen ausstoßend vorstellen. Sah er ein hübsches Gesicht, dachte er immer: Jetzt gibst du dich so zärtlich und romantisch, aber wenn du erst meiner sicher bist …
Diese Frau, Lena Poljanskaja, konnte er sich beim besten Willen nicht kreischend und schimpfend vorstellen. Das passierte ihm zum ersten Mal. Sollte es für mich wie für einen grünen Jungen Liebe auf den ersten Blick geben? fragte sich Krotow. Und antwortete sich sofort, daß das wohl möglich sei.
Was sie ihm dann berichtete, wollte ihm gar nicht so richtig in den Kopf. Hätte eine andere Frau vor ihm gesessen, wäre er wohl von Einbildung und Übertreibung ausgegangen. Aber bei Lena Poljanskaja konnte er das nicht. Er sah sofort, daß sie die Geschehnisse vollkommen exakt wiedergab, nichts übertrieb, sondern sich eher noch einzureden versuchte, so schlimm sei das alles gar nicht gewesen.
Als sie geendet hatte, fragte Krotow: »Die Nummer des Krankenwagens haben Sie?«
»Ich habe sie mir gemerkt. 7440 MJ.«
»Und wie war der Name des Diensthabenden, dem Sie Ihre Anzeige übergeben haben?«
»Ich glaube, Kruglow. Ja, Unterleutnant Kruglow. Er war sehr mitfühlend, hat mir Tee vorgesetzt, aber ich glaube, begriffen hat er überhaupt nichts.«
»Das kann ich mir denken. Sehen Sie, Lena, Ihnen ist etwas sehr Merkwürdiges und Unangenehmes passiert. Aber ich kann darin kein Verbrechen und kein Motiv erkennen. Überlegen Sie doch einmal selbst, wem könnte so etwas von Nutzen sein und warum? Haben Sie Feinde? Wollte sich vielleicht jemand auf diese Weise an Ihnen rächen?«
»Nein, Sergej, das schließe ich aus. Solche Feinde habe ich nicht.« Lena nippte an ihrem Milchshake und fuhr dann fort: »Ich habe den Eindruck, daß das alles mit mir persönlich gar nichts zu tun hat. Die haben offenbar nicht mich, Lena Poljanskaja, persönlich gebraucht, sondern eine schwangere Frau.«
»Das ist möglich.« Krotow nickte. »Nehmen wir mal an, der Arzt hätte bei der Untersuchung wirklich festgestellt, daß Ihr Kind nicht mehr lebt? Wir müssen einfach alle möglichen Varianten durchgehen.«
Lena wollte etwas Spitzes erwidern, beherrschte sich aber.
»Mein Kind lebt. Es bewegt sich, ich kann es spüren. Und wenn meine Beobachtungen nicht ausreichen – ich habe Ihnen doch gesagt, daß eine der Krankenschwestern mich abgehört hat.«
»Sie haben mich mißverstanden, Lena. Ich habe keinen Zweifel, daß mit Ihrem Kind alles in Ordnung ist.«
»Danke.« Lena lächelte.
»Ich meine nur, der Arzt hat sich vielleicht wirklich geirrt, ohne Ihnen etwas Böses antun zu wollen.«
»Also gut«, Lena seufzte, »nehmen wir mal an, die Diagnose war falsch. Er hat sich wirklich geirrt. Und anschließend hat er irrtümlicherweise festgestellt, daß ich in furchtbarem Zustand bin, daß man mich nicht auf die Straße lassen darf und mir unbedingt ein Beruhigungsmittel spritzen muß?«
»Das kann man in der Tat nicht mehr als Irrtum ansehen«, stimmte Krotow zu. »Aber andererseits kann ich mir auch eine Frau schwer vorstellen, die auf eine solche Nachricht völlig ruhig reagiert.«
»Ich habe seine Worte nicht ernst genommen. Mir war sofort klar, daß er sich irren muß. Ich bin zwar keine Ärztin, aber ich denke, so etwas stellt man auch nicht nach einer einzigen Untersuchung fest, und sei es mit Ultraschall. Und wenn man es feststellt, dann teilt man es der Betroffenen nicht sofort mit. Man überprüft es noch einmal, fragt Kollegen. Wenn bei einem Menschen Krebs gefunden wird, konfrontiert man ihn doch auch nicht gleich damit. Man bereitet ihn darauf vor, spricht zuvor mit den Angehörigen.«
»Also gut. Lassen wir den Doktor mal beiseite. Nehmen wir an, die Leute, die Sie da im Keller gesucht haben, waren Pfleger. Sie sollten Sie finden, denn Ihr Zustand schien den Ärzten kritisch, ja lebensgefährlich zu sein.«
Lena mußte lachen.
Ȇberlegen Sie doch mal, in welchem normalen Krankenhaus schickt man nachts Pfleger aus, um eine entlaufene Kranke einzufangen? Wenn sie weg ist,
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