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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Aber wie? Entweder sie erledigen auch mich, oder wir wandern alle zusammen in den Knast.
    Der Wagen nahm Kurs auf den Dolgoprudnenski-Friedhof, wo der Rotschopf Totengräber kannte. Für ein geringes Entgelt konnte man die dazu bewegen, eine doppelte Beerdigung vorzunehmen, eine »Leiche mit Füllung«, wie sie es nannten. Dabei ließ man in einem bereits ausgehobenen Grab eine Leiche verschwinden und bedeckte sie mit einer Schicht Erde. Darauf wurde dann der Sarg des »rechtmäßigen« Verstorbenen gesetzt. Die Rechnung ging fast immer auf. Der Miliz war diese Methode zwar bekannt, aber schließlich konnte man nicht alle frischen Gräber auf den Friedhöfen durchwühlen. Und ohne Leiche kein Mord.
    »Na, was guckst du so bedeppert?« fragte der Rotschopf aufgeräumt. »Wirst dich schon noch dran gewöhnen. Gras gefällig?«
    »Keinen Bock«, brummte Kolja.
    Der Rotschopf klickte mit dem Feuerzeug und nahm einen tiefen Zug.
    »Laß mich auch mal!« rief der Fahrer nach hinten.
    »Du fährst doch!« wandte Kolja ein, als der Rotschopf ihm den Glimmstengel reichte.
    Der nahm gierig gleich mehrere Züge. Der Rotschopf klopfte Kolja auf die Schulter und grinste.
    »So sind wir schneller da.«
    Das Auto raste über die Chaussee. Weit vor ihnen war die Ampel noch grün, dann wurde sie gelb. Der Fahrer meinte, mit etwas mehr Gas könnte er noch über die Kreuzung schlüpfen. In diesem Augenblick schob sich ein riesiger Tankwagen langsam quer über die Straße. Es war glatt, denn der Nieselregen, der unablässig fiel, gefror am Boden.
    Der Schreckensschrei der drei in dem Krankenwagen ging in einer gewaltigen Explosion unter. Es gab eine riesige Stichflamme, die selbst beim trüben Licht dieses ersten Novembertages weithin zu sehen war.

Neuntes Kapitel
    Als Lena nach dem Gespräch mit dem Chefredakteur in ihr Büro zurückkam, fand sie dort Goscha Galizyn vor, der sich angeregt mit einem unbekannten jungen Mädchen unterhielt. Sie hatte kurzgeschnittenes blondes Haar, strahlend blaue, etwas schräg stehende Augen, eine Stupsnase und frische rote Wangen.
    »Guten Tag, Lena Nikolajewna.« Das Mädchen wirkte sehr verlegen. Sie stand auf, und eine große Sporttasche fiel auf den Boden. »Ich heiße Walja Schtscherbakowa und habe Ihre Sachen gebracht. Ich bin Praktikantin im Krankenhaus von Lesnogorsk.«
    Mit hochrotem Gesicht verstummte sie.
    »Setzen Sie sich doch wieder, Walja.« Lena blieb stehen und blickte das Mädchen ruhig an.
    »Es war richtig, daß Sie weggelaufen sind«, fuhr Walja fort. »Ihr Kind lebt und ist gesund. Ich habe es selbst abgehört, als Sie noch schliefen.«
    »Ich weiß« – lächelte Lena –, »daß mein Kind lebt und auch, daß Sie mich abgehört haben.«
    »Dann haben Sie gar nicht mehr geschlafen?« Waljas blonde Brauen fuhren in die Höhe. »So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht. Als Sie weg waren, hatte ich nur Angst, die könnten Sie wieder einfangen.«
    »Wovor hatten Sie Angst, Walja?« fragte Lena freundlich.
    »Was heißt, wovor? Man hatte Sie doch eingeschläfert, um Sie zu uns zu bringen. Mir war sofort klar, daß das gegen Ihren Willen geschehen sein mußte. Und die Hauptsache: Ihr Kind war quicklebendig. Richtig klargeworden ist mir das Ganze aber erst gestern abend, als wieder eine Schwangere eingeliefert wurde. Kein Arzt weit und breit. Ich mußte die Entbindung selbst vornehmen. Stellen Sie sich vor, das erste Mal im Leben! Es ist ein Junge, ein gesunder, hübscher Kerl. Ich habe ihn ins Kinderzimmer gebracht, das im Moment ganz leer ist. Er liegt dort als einziger.Da habe ich mir gedacht: Irgend etwas stimmt nicht in unserer Klinik.«
    »Sie haben gesagt, daß Ihnen etwas richtig klargeworden ist«, warf Lena ein. »Was ist Ihnen klargeworden?«
    »Im Grunde genommen nichts. Ich grüble noch heute darüber nach, wem das nutzen sollte und wozu.«
    »Hat Sie jemand beauftragt, mir die Sachen zu bringen?«
    »Nein, wo denken Sie hin. Das war meine Idee. Ich habe zufällig Ihre Zeitschrift gelesen und bin dabei auf Ihren Namen gestoßen. Als Sie nicht abgenommen haben, habe ich die Chefredaktion angerufen. Die Sekretärin hat mir gesagt, daß Sie heute wieder im Büro sind. Ihre Sachen hatte ich selbst abgegeben, und so wurden sie mir auch ausgehändigt. Der Frau in der Aufbewahrung habe ich gesagt, daß Sie heute entlassen werden. Sie hat das nicht nachgeprüft.«
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mein Diktiergerät einschalte und Sie noch einmal ausführlich erzählen,

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