Lenas Flucht
vor diesen Leuten doch nicht einfach hervorholen!
»Wieso im Archiv? Sie haben sie doch gerade erst bekommen.« Krotow wunderte sich.
»Vor kurzem«, bestätigte Sawtschenko. »Aber ich habe alles überprüft und der Betreffenden eine offizielle Antwort geschickt.«
»Die lautet?«
»Es wird kein Strafverfahren geben. Ich kann Ihnen die Kopie zeigen.«
»Nicht nötig.« Krotow griff nach seinen Zigaretten, bot Sawtschenko und Gluschko eine an. Alle drei rauchten. »Können Sie mir kurz sagen, worum es in der Anzeige der Bürgerin Poljanskaja ging?« fragte Krotow, nachdem er einen tiefen Zug genommen und Ringe in die Luft geblasen hatte.
»Irgendein Schwachsinn«, winkte Sawtschenko ab. »Von künstlichen Wehen. Ehrlich gesagt, ich habe nicht ganz kapiert, was das Ganze sollte.«
»Aber eine Antwort haben Sie geschrieben«, erinnerte ihn Krotow.
»Ich habe die Ärzte aufgesucht. Sie haben mir erklärt, die Poljanskaja sei mit der Diagnose und der Behandlung nicht zufrieden gewesen und deshalb aus dem Krankenhaus fortgelaufen. Da geht es um rein medizinische Dinge, und ich bin kein Arzt. Aber etwas Strafbares konnte ich an der ganzen Sache nicht entdecken.«
»Aber seltsam ist es doch«, sagte Krotow nachdenklich, als spräche er zu sich selbst. »Sehr seltsam. Zwei Fälle mit künstlichen Wehen, und beide Frauen sind aus Moskau. Merkwürdig. Finden Sie nicht?« Er blickte Sawtschenko scharf an.
Der Hauptmann wandte den Blick ab und fragte: »Entschuldigen Sie, ist das ein offizielles Gespräch, oder wie?«
»Oder wie.« Krotow lächelte und erhob sich. »Danke für die Gastfreundschaft.«
Georgi war schon draußen, da wandte sich Sergej noch einmal um und blickte Sawtschenko fest ins Gesicht.
»Hab trotzdem ein Auge auf das Krankenhaus, Hauptmann. Sonst entgeht dir noch ein krummes Ding in deinem Verantwortungsbereich. Das könnte dir schwer zu schaffen machen.«
Auf dem Rückweg schwiegen beide. Vor Gluschkos Haus angekommen, meinte Krotow: »Deine Lida muß dort weg. Montag früh fahren wir beide hin und holen sie ab.«
»Und wenn die sich weigern?« fragte Georgi verängstigt.
»Das sollen sie mal versuchen.«
»Hör mal, Sergej, die Poljanskaja, nach der du gefragt hast, wer ist das?«
»Eine Bekannte. Nichts weiter.«
»He, Oberstleutnant, hast du dich etwa auf deine alten Tage verliebt?«
»Wie kommst du denn darauf?« Krotow schaute Georgi erstaunt an.
»Weiß nicht. Du bist irgendwie anders. Seit wir uns vor drei Monaten das letzte Mal gesehen haben, hast du dich verändert.«
»Wie denn?«
»Wie soll ich das erklären …? Du bist irgendwie lebendiger geworden.«
»War ich vorher etwa tot?«
»Beinahe. Die letzten zwei Jahre mit deiner Larissa … Also, wer ist diese Poljanskaja?«
»Ich hab’ sie doch erst einmal gesehen«, gestand Krotow.
Amalia Petrowna erwachte spät. Heute hatte sie nichts weiter vor. Den verdienten freien Sonnabend wollte sie ganz sich selber widmen.
Sie genoß ihre Morgengymnastik und nahm dann die gewohnte Wechseldusche. Zum Frühstück gestattete sie sich außer dem üblichen Joghurt noch eine Scheibe Weißbrot mit schwarzem Kaviar.
Eineinhalb Stunden später hielt ihr silberfarbener Toyota vor dem Schönheitssalon »Jacques de Sange«. Dort ließ sich Amalia Petrowna zwei Stunden lang massieren, mit den zartesten Cremes behandeln, die Haare schneiden und tönen. Nach all diesen angenehmen Behandlungen trank sie, rundum verjüngt, ein Täßchen Kaffee an der kleinen Bar des Salons. Von dort rief sie den Mann an, mit dem sie heute zu Abend essen wollte.
Ihren Wagen ließ sie auf dem bewachten Parkplatz des Salons stehen und ging zu Fuß zur Passage an der Petrowka.
Nach der Sanierung war in diesem alten Moskauer Viertel ein elegantes Handelszentrum entstanden, wo die bekanntesten französischen, italienischen und deutschen Marken ihre Boutiquen unterhielten. Die Preise dort waren astronomisch – doppelt bis dreifach so hoch wie in anderen Ländern. Gewöhnliche Sterbliche konnten hier nichts kaufen, weshalb in der Passage auch sonnabends andächtige Stille herrschte.
Amalia Petrowna probierte unzählige Blazer, Röcke und Kleider an. Erst nach drei Stunden erstand sie bei »Bosco di Cilegi« ein strenges dunkelblaues Kostüm, ein cremefarbenes Kleid aus fester Naturseide und eine Garnitur seidener Unterwäsche. Mit ihren Einkaufstüten beladen, stieg sie ins Café hinunter.
Die hochgewachsene Blondine mit kurzgeschnittenem Haar, die schon drei
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