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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sollen. Aber sie war dort nicht erschienen. Schließlich stieß Lena neben der Garderobe im Flur auf die Stiefel der Tante. Sie besaß für jede Jahreszeit nur ein Paar Schuhe. Alles andere hielt sie für überflüssig. Das bedeutete, seit zwei Tagen hatte sie das Haus nicht verlassen. Dazu paßte auch, daß ihr Wintermantel im Schrank hing.
    Lena verriegelte die Wohnungstür mit allen vorhandenen Schlössern und rief sofort Krotow an. Er war zu Hause.
    »Sergej, meine Tante ist weg. Ich denke, die waren hier. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe große Angst.«
    »Ich bin gleich da. Sagen Sie mir die Wohnungsnummer«, antwortete er.
    Krotow hatte am Abend zuvor im Moskauer Polizeibericht von dem Unfall auf der Dmitrowsker Chaussee gelesen,die Nummer des Krankenwagens ermittelt und in Erfahrung gebracht, daß dabei vier Personen umgekommen waren – drei junge Männer und eine Frau von etwa sechzig bis fünfundsechzig Jahren.
    Der Wagen gehörte der Firma »Medservice«. Obwohl die Leichen stark verbrannt waren, hatte man die drei Männer identifizieren können. Sie waren tatsächlich alle drei bei dieser Firma beschäftigt – einer als Fahrer und die anderen beiden als Sanitäter. Die Frau war bislang unbekannt.
    Der Gerichtsmediziner hatte festgestellt, daß sie bereits eine Stunde vor dem Unfall an einem Herzinfarkt verstorben war. Spuren von Gewaltanwendung fand man nicht. Allerdings konnte man das aufgrund des Zustandes der Leiche nicht mehr mit absoluter Sicherheit sagen.
    Aus alledem ergaben sich zwei Fragen: Wie kam eine Frau, die einem Herzinfarkt erlegen war, in einen Krankenwagen, der in der Regel keine Noteinsätze fuhr? Und warum stimmte die Nummer des Wagens mit der überein, die Lena Poljanskaja ihm angegeben hatte?
    Krotow wollte am Montag die Firma aufsuchen und dort seine Fragen stellen. Als Lena nun am Samstagabend anrief, ertappte er sich dabei, daß ihn sogar ein so schrecklicher Anlaß freute, sie wiederzusehen. Gegen 23.00 Uhr traf Krotow an der Schmidtstraße ein. Zunächst schaute er sich im Hof um. Dort war alles ruhig. Für alle Fälle entschied er sich, zu Fuß hinaufzugehen, um die Treppe zu kontrollieren. Zwischen der fünften und der sechsten Etage saßen zwei junge Burschen auf dem Fensterbrett, rauchten und redeten leise miteinander. Als sie Schritte hörten, verstummten sie. Einer stand auf, beugte sich über das Geländer und erkundigte sich nach der Uhrzeit.
    »Und was machen Sie hier, wenn man fragen darf?« gab Krotow zurück.
    »Nichts weiter«, antwortete der Junge achselzuckend. »Wir trinken was und reden dabei.«
    »Macht euch nach Hause, Jungs. Es ist spät.«
    »Na so spät ist es auch wieder nicht«, meldete sich der vom Fensterbrett. »Unsere Zigaretten sind alle. Haben Sie welche für uns?«
    Er kam Krotow ein paar Stufen entgegen. Der zückte eine Schachtel und reichte sie ihm.
    »Könnt ihr behalten.«
    »Oh, da sind ja nur noch zwei drin. Die letzte Zigarette nimmt nicht mal ein Dieb einem Raucher ab!« Der Bursche lächelte und schaute Krotow aufmerksam ins Gesicht.
    Das ist gar kein Grünschnabel, dachte Krotow bei sich. Zwanzig ist er bestimmt, wenn nicht älter.
    Der Bursche kehrte auf das Fensterbrett zurück. Jetzt hatte er keinen Zweifel mehr, daß der Mann, der zu ihrer Schutzbefohlenen ging, keine Gefahr darstellte. Er hatte ihn auf einem Foto gesehen. Dort trug er den Decknamen Krot – die Kröte.
    Lena öffnete die Tür. Sie hatte verweinte Augen. Krotow drückte ihr steif und verlegen die Hand.
    »Danke, Sergej, daß Sie gekommen sind. Verzeihen Sie mir, ich habe Sie wahrscheinlich von Ihrer Familie weggelockt?«
    »Ich habe keine Familie, und Sie haben mich von nirgendwo weggelockt. Daß Sie angerufen haben, war goldrichtig.«
    »Vielleicht möchten Sie etwas essen?« fragte Lena unerwartet.
    »Danke, nicht nötig, aber gegen einen Tee hätte ich nichts einzuwenden.«
    Sie gingen in die Küche. Er sah ihr zu, wie sie den Teekessel füllte, aufs Gas stellte und sich dann zu ihm setzte. Erst dann begann er zu fragen: »Wann haben Sie Ihre Tante zum letzten Mal gesehen?«
    »Gestern abend bin ich spät nach Hause gekommen. In Tante Sojas Zimmer war es dunkel, und ich nahm an, sie schläft schon. Jetzt weiß ich, daß sie zu der Zeit bereits nicht mehr da war. Zum letzten Mal habe ich sie gestern morgen gesehen.«
    »Woraus schließen Sie, daß sie abends nicht mehr da war?«
    Lena erklärte es ihm und wies ihm Sojas Mantel und Stiefel

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