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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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seiner Hose, aber er achtete nicht darauf.
    »Wer ist da?« hörte er durch das Rauschen des Wassers eine ihm sehr bekannte, erschrockene Stimme. Lena lief Schaum in die Augen, sie rieb mit den Händen und machte es dadurch nur noch schlimmer. Pinjas Gebell war jetzt ganz nah und hallte in dem gekachelten Bad laut und unheimlich wider. Mit einer jähen Bewegung riß Bubenzow den Plastikvorhang herunter und sah mit Erstaunen Lenas gerundeten Bauch.
    Ein gedämpfter Schuß ertönte.
    Das war’s, dachte Lena erschöpft, aber wieso tut es gar nicht weh?
    Bubenzow kippte mit dem Gesicht nach unten über den Wannenrand und erstarrte in einer merkwürdigen Pose. Sein Kopf hing fast bis auf den Boden. Polternd fiel die Pistole hinterher.
    Lena hörte nur noch ein mächtiges Rauschen in den Ohren, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
    Sweta drehte das Wasser ab und zerrte Bubenzows massige Gestalt auf den Korridor. Dann hob sie Lena auf, trug sie in ihr Zimmer und legte sie dort aufs Bett. Sie bedeckte sie mit einem alten Bademantel, den sie am Haken hatte hängen sehen.
    Einer so tiefen Ohnmacht begegnete sie zum ersten Mal, weshalb sie ein wenig durcheinandergeriet. Aber Lenas Puls ging gleichmäßig, sie atmete ruhig. Sie wird schon wieder zu sich kommen, sagte sich Sweta und legte noch eine Decke über den leblosen Körper. Dann verließ sie die Wohnung, setzte sich eine halbe Treppe höher aufs Fensterbrett und rief Andrej Iwanowitsch an.
     
    Lena konnte lange nicht verstehen, wo dieser anhaltende, durchdringende Ton herkam. Nun fiel auch noch Pinja mit herzerreißendem Geheul ein. Schließlich begriff sie, daß es die Türklingel war. Wankend vor Schwäche, schleppte sie sich in den Flur, wo sie über etwas Weiches stolperte. Schließlich konnte sie den Schalter ertasten und das Licht anknipsen.
    Quer über den Korridor lag ein Mann. Das Gesicht war nicht zu erkennen, aber um seinen Kopf hatte sich ein großer dunkelroter Fleck gebildet.
    Draußen klingelte es weiter Sturm. Dann vernahm sie Krotows aufgeregte Stimme: »Lena! Hören Sie mich?«
    Lange bekam sie das Schloß nicht auf, weil ihr die Hände zitterten. Schließlich öffnete sich die Tür.
    Als Krotow ihr kreidebleiches Gesicht, das nasse Haar und die Leiche mit durchschossenem Kopf im Flur erblickte, war sein erster Gedanke: Gott sei Dank, sie lebt! Er umarmte Lena und spürte, daß sie am ganzen Leibe zitterte.
    »Es ist vorbei, Lenotschka, hab keine Angst. Das Schlimme ist vorüber«, stammelte er und strich ihr über das feuchte Haar.
    Dabei wußte er genau, daß nichts vorbei war. Jetzt begann die nächste Runde. Die wollten Lena ernsthaft ans Leben.
    Krotow telefonierte mit der Petrowka und forderte eine Einsatzgruppe an.
    Eine halbe Stunde später hatte sich das Bild schon etwas gelichtet. Der Tote trug keinerlei Papiere bei sich. In seinen Taschen fand man eine Schachtel »Camel«, ein Feuerzeug, 30   000 Rubel in kleinen Scheinen, drei Hundertdollarnoten und ein Bündel Dietriche. Aus der Innentasche zog man ein Farbfoto von Lena Poljanskaja.
    »Der Schuß wurde aus einer importierten Pistole abgegeben, nicht aus der, die in der Wanne liegt. Er traf aus höchstens einem halben Meter Entfernung direkt ins Genick. Der Tod ist vor etwa einer Stunde eingetreten.« Der Polizeiarzt streifte die Gummihandschuhe ab und steckte sich eine Zigarette an. »Der Ermordete muß direkt neben der Wanne gestanden haben. Auf den Kacheln sind seine Fußspuren zu sehen. Als auf ihn geschossen wurde, kippte er offenbar vornüber und fiel mit dem Kopf in die Wanne. Dann wurde die Leiche in den Flur geschleppt.«
    »Das muß ein kräftiger Mann gewesen sein«, ließ der Einsatzleiter Michail Sitschkin hören und hob den Kopf von dem Protokoll, das er gerade schrieb. »So einen Kerl hochzuheben und wegzuschleppen – dazu braucht es Kraft!«
    »Kann die Leiche weg?« hörte Lena eine Stimme im Korridor.
    »Warten Sie«, warf sie ein. »Vielleicht soll ich ihn noch einmal anschauen?«
    Zwanzig Minuten zuvor hatte sie beim ersten, noch völlig verwirrten Blick in das Gesicht des Toten erklärt: »Nein, den Mann kenne ich nicht.«
    Irgendwie kam er ihr jedoch beängstigend bekannt vor. Aber tief in ihrem Inneren wehrte sich etwas dagegen, ihn wiederzuerkennen.
    Der Leichnam lag schon auf einer Trage. Als man jetzt eine Ecke der schwarzen Plastikfolie hochhob, die sein Gesichtbedeckte, genügte ein Blick, und sie sagte sehr ruhig: »Entschuldigen Sie. Vorhin war ich noch nicht

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