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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hörte sie eine tiefe Stimme, die sie sehr gut kannte.
    »Ist was passiert?« fragte sie, noch nicht ganz wach.
    »Ja. Komm, ich bitte dich sehr! Wenigstens für einige Minuten.«
    Lena schwieg.
    »Wir treffen uns in eurem Nachbarhof. Nur ein paar Schritte von deiner Haustür. Ich warte dort in einer halben Stunde auf dich.«
    »Also gut, ich komme«, versprach Lena gähnend und legte auf.
    Sie dachte gar nicht daran, dort zu erscheinen. Sollte er doch sitzen und warten. Zusagen und dann nicht kommen – das paßte genau zu ihm. Das machte er gern mit anderen. Sollte er doch sauer sein. Dann rief er wenigstens nicht mehr an. Und wenn er es dennoch tat, dann mußte sie ihn halt noch einmal vor den Kopf stoßen.
    Auf dem sauber abgewischten Küchentisch fand Lena Krotows Nachricht und konnte sich denken, daß er sich zu Dr. Kurotschkin auf den Weg gemacht hatte. Abends hatten sie alles in der Küche stehen- und liegenlassen. Jetzt war der Abwasch erledigt und aufgeräumt. Sogar das Teewasser war noch heiß.

Fünfzehntes Kapitel
    Die beiden Häuser, zu denen der Nachbarhof gehörte, wurden gerade saniert. Die Wohnungen standen leer, und auch kein Arbeiter ließ sich blicken, denn es war Sonntag. All das hatte Bubenzow vorher ausgekundschaftet. Für ihn war das der ideale Platz – ein hoher Plankenzaun umschloß das Ganze, und ringsum keine Menschenseele.
    Er setzte sich auf ein dickes Betonrohr, schraubte in aller Ruhe den Schalldämpfer auf und steckte sich eine Zigarette an.
    Er gab sich Mühe, an überhaupt nichts zu denken. Aber die unpassendsten Erinnerungen stiegen in ihm auf, als ob jemand absichtlich die ganze Geschichte seiner Beziehung zu Lena vor ihm abspulte. Besonders deutlich stand ihm ihre unerwartete Begegnung in Kanada acht Jahre nach der Scheidung vor Augen.
    Das Bändchen mit den Aufsätzen über die kleinen Völker des Nordens war eines seiner letzten Bücher gewesen. Er brauchte dringend Geld, stieß auf einige seiner alten Aufsätze aus seiner Sibirienzeit und fügte nur einen einzigen neuen über die Hochzeitsbräuche der Chanten und Mansen hinzu. Ein armseliger Verlag in Tjumen brachte das Buch in winziger Auflage heraus. Das Honorar war lachhaft, und selbst die wenigen Exemplare verstaubten in den Regalen der Buchhandlungen. Aber wie durch ein Wunder war sein Werk einem Kanadier in die Hände gefallen, und beim Schriftstellerverband ging eine persönliche Einladung für ihn ein.
    In jenem verschneiten Nest war er einer seiner Ex-Frauen begegnet. Anfangs wollte sie überhaupt nichts von ihm wissen.
    Nach dem zweiten Abendessen klopfte er an ihre Tür. Er hatte keinen Adapter für den Wasserkocher und wollte gerne Tee trinken. Dort heulte er ihr dann die Ohren voll – er sei allein, niemand wolle ihn haben, sein ganzes Lebensei verpfuscht und Lena der einzige Lichtblick darin gewesen.
    Erst gegen Morgen verließ er ihr Zimmer. Am nächsten Abend tranken sie wieder zusammen Tee …
    Lena hatte sich in den acht Jahren kaum verändert, war nicht älter geworden, hatte kein Gramm zugenommen, und niemand hätte sie für fünfunddreißig gehalten. Juri war auch nicht abgeneigt, die Romanze in Moskau fortzusetzen, aber das lehnte sie kategorisch ab.
    Noch nie hatte ihm eine Frau von sich aus den Laufpaß gegeben. Das konnte er nicht akzeptieren und suchte mit ihr in Kontakt zu bleiben.
    Sie lehnte höflich ab und fand immer neue Vorwände, um sich nicht mit ihm zu treffen: Entweder hatte sie zuviel Arbeit, oder die Tante war krank. Hierher kam er eines Tages, setzte sich im Treppenhaus auf ein Fensterbrett und wartete.
    Lena erschien schließlich mit einem alten rothaarigen Dackel an der Leine. Als sie Bubenzow erblickte, ließ sie weder Überraschung noch Freude erkennen, grüßte ihn gleichmütig wie einen flüchtigen Bekannten und ging vorbei. Sie mußte in die Apotheke und danach in den Supermarkt. Er begleitete sie.
    Ohne ein Wort an ihn zu richten, kaufte sie Medikamente und Lebensmittel für die Tante ein. Schließlich konnte er sie überreden, sich mit ihm wenigstens ein paar Minuten irgendwo hinzusetzen.
    Damals waren sie in diesen menschenleeren Hof gegangen. Die Sanierung hatte noch nicht angefangen, aber die Mieter hatten ihre Wohnungen fast alle schon verlassen, und es war sehr still.
    »Ich lass’ nicht ab von dir. Du bist bloß zu stur, um einzulenken. Ich weiß doch, daß du niemanden hast«, begann er. »Und außerdem, in Kanada …«
    »In Kanada war nichts!«
    »Wieso war da

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