Lenas Flucht
wartete, wußte sie sofort und wunderte sich. Typisch russische Mafiosi: kahlrasierte Köpfe, dumpfe, kantige Visagen und Lederjacken. Als einer Lena in der Menge bemerkte, rief er ziemlich laut auf russisch: »Da ist sie!«
Die beiden anderen starrten ihr finster entgegen. Als einer der Kerle seine Hand in die Jackentasche steckte, war Sweta bereits dicht neben ihm, legte ihm die Hand auf den Arm und fragte mit einem einladenden Lächeln: »Wartet ihr etwa auf mich, Jungs?«
Die Kerle zuckten zusammen und wollten sie grob anfahren, wurden aber sofort leiser, als sie Sweta in Augenschein nahmen. Schließlich stand vor ihnen eine vollendete Schönheit, wie von einem Werbeplakat herabgestiegen.
»Ja, hm, eigentlich …«, murmelte einer verlegen.
»Seid ihr Brüder?« Swetas Hand lag immer noch auf dem Ärmel der Lederjacke. Der Kerl hielt seinen Arm, dessen aufgepumpte Muskeln Sweta spüren konnte, reglos. Langsam wurde er ihm steif.
»Was soll’s«, seufzte sie schließlich. »Schade, daß ihr nicht wegen mir gekommen seid. Gebt mir wenigstens eine Zigarette. Meine waren schon im Flugzeug alle.«
Die Hand kam schließlich aus der Jackentasche hervor und umschloß … eine Schachtel »Camel«.
Da habe ich wohl etwas überreagiert, dachte Sweta. Hier hätten sie nicht geschossen. Die sind zwar beschränkt, aber so sehr nun doch nicht.
Lena lag indessen in den Armen eines betagten, aber gutaussehenden, etwas auf jung getrimmten Amerikaners. Sweta hörte sie sagen: »Steven, mein Lieber, ich freue mich so, dich zu sehen!«
Jetzt tippte jemand Sweta leicht auf die Schulter. Sie fuhr herum.
Ein kleiner, runder Kerl mit schmalen Schultern, rosiger Glatze und Kindernase schaute sie streng und vorwurfsvoll an.
»Mr. Bradley?« Sweta lächelte ihm entgegen.
»Hallo, Sweta«, antwortete er finster.
Keep smiling – diese Devise der Amerikaner schien für Bradley nicht zu gelten. Seine grünen Äuglein blickten stechend und kalt.
»Ich bringe Sie zum Wagen. Dort finden Sie Waffe undStadtplan. Meine Telefonnummer prägen Sie sich bitte ein. Notieren Sie sie nirgends. Und benutzen Sie sie nur, wenn es sich nicht umgehen läßt.«
Bradley führte Sweta zu einem kleinen schokoladenbraunen Opel und hielt ihr die Schlüssel hin.
»Der Mann, der Ihre Freundin abgeholt hat«, fuhr er leise fort, »ist in einem grünen Ford gekommen, und die zwei Russenkerle, mit denen Sie gerade gesprochen haben, steigen jetzt in einen roten Jeep. Ich folge Ihnen mit Sicherheitsabstand und warte so lange, bis Sie in der Nähe Ihrer Freundin eine Unterkunft gefunden haben. Fahren wir.«
Sweta sah, wie Stevens grüner Ford vom Parkplatz rollte. Sie hängte sich an den roten Jeep der Ganoven. Draußen flog ein armes Farbigenviertel vorbei. Neben eintönigen Häuserblocks aus rotem Backstein drängten sich ebenerdige Elendshütten. Die Wände waren über und über mit grellbunten Graffiti besprüht. Wo die Fensterscheiben fehlten, gähnten leere Höhlen oder sah man geschlossene Fensterläden, von denen die Farbe abblätterte. Die Schilder von Läden und Imbißstuben hingen schief oder waren ganz abgefallen. Auf dem Asphalt dunkelhäutige Figuren, die rauchten oder aus der Flasche tranken.
Dann war das Armenviertel plötzlich zu Ende. Nun fuhren sie durch eine gepflegte Gegend mit kleinen doppelstöckigen Häuschen, mit den glänzenden Glasscheiben von Supermärkten und Cafés. Die Leute lächelten, führten Hunde aus oder schoben Kinderwagen vor sich her.
Erst später stellte Sweta fest, daß in New York alles abrupt beginnt oder endet. Die Stadt kennt keine Übergänge. Ein aufgeweichter Weg ist zu Ende, und es beginnt eine saubere Straße. Keine Abstufungen, keine Mitte – nur grelle Kontraste. Als ob jedes Detail einer Landschaft, jeder Zug in einem menschlichen Gesicht nach absoluter Vollendung strebte.
Die Dicken sind unmäßig dick und die Schönen atemberaubend schön. Wenn eine Straße arm und schmutzig ist, dann bis zum Erbrechen, und wenn sie reich ist, dannkünden von diesem Reichtum jeder Quadratmeter Straßenpflaster und jede einzelne Türklinke.
In einem solchen Viertel hielt Stevens Ford. Sweta hatte ihre Route auf dem Stadtplan mitverfolgt, der auf dem Beifahrersitz lag. Ihr war klar, daß sie im Zentrum von Brooklyn unweit der berühmten Brooklyn Bridge angekommen waren. Der Jeep der Gangster bremste vor Stevens Haus nur kurz und fuhr dann weiter. Dahinter schob sich Mr. Bradleys hellblauer Volvo um die Ecke und
Weitere Kostenlose Bücher