Lenas Flucht
kann.«
»Mein lieber Krotow«, sagte Burjak mit einem Grinsen, »wir sind doch seriöse Leute und keine heurigen Hasen. Dann können Sie mich auch gleich bitten, Ihnen einen Handaufleger, einen Wunderheiler oder ein Kräuterweib zu beschaffen. Das Präparat, von dem Sie sprechen, ist davon nicht so weit entfernt. Seine Wirkung ist bisher nicht ausreichend erforscht. In meiner Macht steht es, für Ihren Kranken eine Untersuchung auf höchstem Niveau zu organisieren, ihn den besten Spezialisten von Moskau vorzustellen oder gar ein Ärztekonsilium einzuberufen. Aber das ist es dann auch. Ich habe hier mit Medizin und nicht mit Mystik zu tun.«
Das klang überzeugend. Dazu war wohl nichts mehr zu sagen … Aber je aufrichtiger er Krotow ansah, desto klarer wurde dem, daß sein Gegenüber ihn gnadenlos belog.
Das hatte er eigentlich auch herausfinden wollen. Er mußte Klarheit darüber gewinnen, daß der Dicke direkt mit denen unter einer Decke steckte, die Lena den Auftragskiller geschickt hatten. Nun mußte er sich offenbaren, um auch die letzten Zweifel auszuräumen.
»Ilja Timofejewitsch!« Krotow schaute Burjak direkt ins Gesicht. Der wandte den Blick ab, schielte nach der offenen Schachtel und nahm sich flugs noch eine Praline. »Ich weiß, daß dieses Medikament im Krankenhaus von Lesnogorsk hergestellt wird. Ich weiß auch, daß Sie damit unmittelbarzu tun haben und die ganze Sache seitens des Gesundheitsministeriums absichern.«
Das Gesicht des Dicken lief dunkelrot an. Er verschluckte sich an der Praline, hustete und brach in Schweiß aus. Als er seine Stimme wiedergefunden hatte, brüllte er los:
»Alles Lüge und unverschämte Verleumdung!« Dann nahm er einen Schluck Tee, wischte sich die Stirn und fragte schon ruhiger: »Wer hat Ihnen denn diesen Unsinn erzählt?«
»Niemand.« Krotow lächelte. »Ich bin selber daraufgekommen. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen so viel Zeit geraubt habe. Leben Sie wohl.«
Vom Gesundheitsministerium fuhr Krotow zur Petrowka zurück, holte sich aus dem Archiv die acht Jahre alte Akte über die illegale Abtreibungsklinik, schloß sich in seinem Büro ein und brühte sich einen starken Kaffee.
Krotow wußte aus Erfahrung, daß es bei solchen Fällen fast immer eine graue Eminenz gab, Herz und Hirn des ganzen Geschäfts, meist eine kluge, gerissene Person, die sich in der Regel nicht erwischen ließ.
Die graue Eminenz der Genossenschaft »Krokus« war ein gewisser Dr. Anatoli Weiß gewesen. Damals vor acht Jahren war man auf seine Spur gekommen, hatte ihm aber nichts nachweisen können. Als Krotow die Akte jetzt noch einmal durchsah, wurde ihm klar, daß Burjak Weiß damals aus der Patsche geholfen hatte.
Offenbar war die Firma »Krokus« nicht dazu gegründet worden, leichtsinnigen schwangeren Damen das Honorar für die Abtreibung zu entlocken. Das große Geld verdiente sie wahrscheinlich schon damals mit der Verarbeitung des lebenden Materials. Vor acht Jahren war das aber noch keinem in den Sinn gekommen.
Ohne sich große Hoffnungen zu machen, verglich Krotow die zahlreichen Fingerabdrücke, die man auf Lenas Glanzfoto gefunden hatte, mit denen aus dieser Akte. Als ersten nahm er sich die graue Eminenz von damals vor undverschluckte sich beinahe an dem heißen Kaffee: Auf dem Foto waren ganz deutlich die Abdrücke von Anatoli Weiß zu erkennen. Eine Stunde später hatte er die offizielle Bestätigung der Daktyloskopie.
»Du meinst also, solange sie bei Krotow ist, droht ihr keine Gefahr?«
»Die Wohnung liegt im neunten Stock eines Zwölfgeschossers. Sie hat eine Stahltür, die sich ohne passenden Schlüssel nicht öffnen läßt. Lena tut keinen Schritt hinaus. Selbst mit ihrem Hund geht Krotow morgens und abends auf die Straße.«
»Das haben sie sich gut ausgedacht.« Andrej Iwanowitsch nickte und nahm einen Schluck von dem heißen, starken Tee. »Krotow führt also ihren Hund aus«, meinte er ernst und nachdenklich. »Was spinnt sich da zwischen ihm und unserer Schutzbefohlenen an?«
Sweta zuckte die Schultern.
»Was wohl? Liebe!«
»Also, weißt du!« Andrej Iwanowitsch hieb sich aufs Knie. »Die kennen sich doch erst seit einer Woche!« Er hielt einen Moment inne und fragte dann: »Gefällt dir diese Lena?«
»Ja«, gab Sweta zu. »Es arbeitet sich leichter, wenn das zu schützende Objekt einem sympathisch ist. Warum fragen Sie?«
»Ich frage deshalb, mein Kind, weil es in deiner Arbeit keine Sympathien und Antipathien geben darf. Wer weiß, wie die
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