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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sein.
    »Bürger!« brüllte der Grenzer noch einmal. »Sind Sie übergeschnappt?! Der Mann – sofort zurück! Und Sie werden noch das Flugzeug verpassen!«
    »Entschuldigung«, sagten beide wie aus einem Mund, nachdem sie sich endlich voneinander losgerissen hatten. Ihr traut euch was! dachte Sweta und mußte lachen.
    Krotow lief rasch zum Ausgang, ohne sich noch einmal umzuschauen. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Als er schon im Wagen saß, spürte er noch immer den herben Geschmack von Lenas kühlen Lippen.
     
    Lena ließ sich in den weichen Sitz der Boeing fallen und schloß die Augen.
    Sein Schnurrbart kitzelt, bemerkte sie bei sich. Was ist nur mit uns geschehen?
    Mit zwanzig erscheint jede Liebe als die einzige und wichtigste im Leben. Mit fünfunddreißig sollte man sich nicht mehr irren: erstens, weil es peinlich ist, zweitens, weil kaum noch Zeit bleibt, um den Fehler zu korrigieren. Wie war es nur gekommen, daß dieser schnurrbärtige Oberstleutnant, den sie kaum eine Woche kannte, plötzlich der einzige Mensch auf der Welt war, der ihr so nahestand?
    Es ist halt passiert, antwortete sie sich selbst. Wennich ihm doch eher begegnet wäre … Aber auch so ist es gut.
    Nach jenem schrecklichen Vormittag hatte sie drei Tage in Krotows Wohnung verbracht und auf seiner alten »Olympia« ihre Übersetzung getippt. Er gab sie persönlich in der Redaktion ab und nahm auch bei der Sekretärin Katja ihre Flugtickets in Empfang. Er umsorgte sie wie ein Kind, versuchte zu erraten, was sie gerne aß, kam mit vollen Taschen nach Hause und ließ sie nicht an den Herd.
    Sie wußte, daß er eine Woche Urlaub genommen hatte, um sich ganz dem Fall des Lesnogorsker Krankenhauses widmen zu können. Auch daß man ihn von der offiziellen Ermittlung entbunden hatte und ihn gar verdächtigte, Bubenzow erschossen zu haben …
    An letzteren wollte sie überhaupt nicht denken. Sie war zwischen Abscheu und Mitleid hin- und hergerissen. Ein Berufskiller konnte Bubenzow nicht geworden sein, aber mit einer Bande hatte er sich vielleicht eingelassen. Er brauchte immer Geld und scheute keine Mittel, um es zu bekommen. Er war ein guter Schütze. Irgendwie paßte das zusammen. Jemand mußte ein Interesse daran gehabt haben, gerade ihren Ex-Mann als ihren Mörder anzuheuern. Eifersucht war ein plausibles Motiv. Wahrscheinlich hatten sie Bubenzow ordentlich Angst gemacht, und er ließ sich darauf ein. Blieb noch herauszufinden, wer ihn im letzten Augenblick erschossen hatte. Lena wußte, daß es nicht Krotow war, obwohl der, wäre er an der Stelle des unbekannten Schutzengels gewesen, sicher das gleiche getan hätte. Nur – wer war es dann? Wer außer Sergej Krotow hatte Interesse an ihr?
     
    »Wachen Sie auf und schnallen Sie sich bitte wieder an.«
    Auf dem Flug nach New York gab es zwei Zwischenlandungen – die erste im irischen Shannon.
    Es war pechschwarze Nacht, eisiger Regen fiel, und der Wind heulte. Die schräg fallenden Tropfen wurden von denSuchscheinwerfern für einen Augenblick aus dem Dunkel geholt und verschwanden sofort wieder. Das machte es im Flughafengebäude noch gemütlicher.
    Lena öffnete die Haarspange und ließ die dichte dunkelblonde Flut offen auf die Schultern fallen. Als sie ihre Bürste aus der Tasche holte und in die riesige Panoramascheibe blickte, sah sie neben sich das Spiegelbild einer hochgewachsenen hübschen Blondine. Irgendwie kam die ihr bekannt vor. Dieses Gesicht mit den kurzen blonden Stoppeln hatte sie erst kürzlich irgendwo gesehen.
    Vielleicht auf der Kaugummiwerbung, dachte sie zerstreut.
    Ihre Blicke begegneten sich.
    Nein. Kein Kaugummi. Überhaupt keine Werbung. Etwas ganz anderes. Lena hatte den Eindruck, daß das Mädchen sie auch kannte. Aber schon war es in der Menge der Transitreisenden verschwunden.
    Beim zweiten Mal ging das Flugzeug in Calgary in Kanada herunter. Wieder mußten die Passagiere aussteigen und eineinhalb Stunden im Transitraum des Flughafens totschlagen. Die Blondine sah Lena nicht mehr – weder dort noch an Bord der Maschine.
     
    Sweta hatte schon mehrere Auslandsreisen hinter sich. Nach Amerika kam sie jedoch zum ersten Mal. Die Boeing kreiste fast eine halbe Stunde über dem Kennedy International Airport, weil sie wegen starken Windes nicht landen konnte. Sweta war ein wenig aufgeregt. Die sechzehnstündige Pause ging zu Ende. Jetzt wurde es ernst. Es blieben nur noch wenige Minuten, um sich zu entspannen. Sie schloß die Augen.
    Wer da auf Lena Poljanskaja

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