Lenas Flucht
Sache am Ende ausgeht …«
Sweta bemerkte, wie kalt und hart die Augen ihres Gesprächspartners blicken konnten. Ihr wurde unheimlich. Er spürte das sofort und tätschelte ihr gütig die Wange.
»Mir gefällt sie ja auch«, meinte er, lehnte sich im Sessel zurück und steckte sich eine Zigarette an. »Es wäre gut, wenn sie und Krotow zusammenkämen. In der Petrowka ein Eisen im Feuer zu haben wäre für uns doch auch nichtschlecht, oder?« Er zwinkerte ihr listig zu, wurde aber sofort wieder ernst. »Jetzt das Wichtigste. In New York erwartet dich ein gewisser Bradley. So ein kleiner Dicker, erinnert irgendwie an einen Clown. Das täuscht gewaltig, denn er ist eher von der finsteren, groben Sorte. Aber das wirst du überleben. Ihr werdet euch nur selten begegnen. Er ist beim FBI in einer Geheimabteilung, die sich mit illegalem Organhandel befaßt. Wir mögen uns nicht besonders, arbeiten aber gut zusammen. Wenn wir ihnen die dortigen Partner von Weiß nicht liefern, sind sie sauer auf uns. Du kannst dich mit allen Problemen an ihn wenden. Was aber die Arbeit selbst betrifft, da verlaß dich besser nicht auf ihn. Schalte ihn nur ein, wenn es gar nicht anders geht. Das ist er.« Andrej Iwanowitsch zeigte Sweta einige Farbfotos. »Ein Bild von einem Mann, was?«
Wenn man Bradley anschaute, konnte man in der Tat an einen Clown denken.
»Haben Sie schon in New York angerufen, Lena? Holt Sie dort jemand ab?«
Sie saßen zusammen in seiner kleinen Küche. Unter dem Tisch hatte sich Pinja zusammengerollt und schnarchte laut.
»Ich habe am Freitag vom Büro aus telefoniert. Steven holt mich ab. Er war mit meinem Vater befreundet«, antwortete Lena.
»Und wo werden Sie unterkommen?«
»Bei ihm. Ich wohne immer dort, wenn ich in New York bin. Ich habe ihn quasi von meinem Vater geerbt. Sie haben sich 1957 bei den Weltfestspielen in Moskau kennengelernt. Ungeachtet aller Widrigkeiten im sowjetisch-amerikanischen Verhältnis haben sie es geschafft, immer Kontakt zu halten und sich ab und an zu sehen. Seit mein Vater tot ist, schreibe ich Steven manchmal. Er ist schon alt – über fünfundsiebzig. Seine Kinder und Enkel sind erwachsen. Er lebt allein in seinem großen Haus in Brooklyn und fühlt sich dort sehr einsam.«
Sie war erst seit zwei Tagen bei ihm eingezogen, und Krotow stellte fest, daß er seit langer Zeit abends wieder gern nach Hause kam. Er hatte keine Ahnung, wie es mit ihnen weitergehen sollte, aber tief in seinem Inneren war er sich sicher: Von Lena würde er sich nicht mehr trennen. Was gerade zwischen ihnen vorging, war viel zu ernst, um sich eines Tages wieder in Luft aufzulösen. Dabei geschah äußerlich rein gar nichts. Sie waren immer noch per Sie, er schlief auf dem Küchensofa und sie auf der Liege in seinem Zimmer.
»Lena, im Gespräch mit Kurotschkin haben Sie gesagt, daß Sie ein Mädchen erwarten. Nehmen Sie das nur an, oder wissen Sie es genau?«
»Jetzt bin ich sicher. Kurotschkin hat es mir beim Abschied gesagt. Er war ein erfahrener Arzt und hat sich bestimmt nicht geirrt.«
»Und was haben Sie sich gewünscht, als Sie es noch nicht wußten?«
»Ein Kind.« Lena lächelte. »Einfach nur ein Kind. Ist das Geschlecht denn so wichtig?«
»Ich wollte immer ein Mädchen, eine Tochter …«, sagte Krotow gedankenverloren.
Achtzehntes Kapitel
Die Maschine nach New York startete jeden Mittwoch um halb elf Uhr abends. In Scheremetjewo-2 war es voll, aber Sweta bemerkte Lena sofort. Sie beugte sich über ein Tischchen vor dem Durchgang in den Transitraum und füllte die Zollerklärung aus. Neben ihr stand Krotow und beobachtete wachsam die Menge ringsum.
Entspann dich, mein Lieber, dachte Sweta, hier ist keine Gefahr. In New York geht es richtig los.
Die Schlangen vor der Grenzkontrolle nahmen langsam ab. Die Lautsprecher hatten schon dreimal zum Einsteigenaufgefordert. Krotow reichte Lena ihren leichten Rucksack und drückte ihr linkisch die Hand.
Das ist mir ein Kavalier! bemerkte Sweta bei sich. Einer Dame küßt man die Hand und drückt sie nicht. Gib dir doch endlich einen Ruck, Milizionär!
Aber Krotow konnte sich nicht entschließen. Lena stand bereits vor der Kabine des Grenzsoldaten. Plötzlich stürzte Sergej durch alle Absperrungen zu ihr.
»Wohin?!« brüllte der Grenzkontrolleur, erhielt aber keine Antwort.
Zwischen den Spiegeln der Grenzkontrolle stand ein nicht mehr junges Paar und küßte sich selbstvergessen. Die Welt ringsum schien für die beiden versunken zu
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