Lenas Mondnächte (German Edition)
Zeit.
Auch Tomm spürte es.
Sein Blick glitt zärtlich über die bleiche, reglose Gestalt auf dem Stein der Druiden. Er machte sich bereit. Leise hechelnd kamen die Wölfe näher, bildeten einen undurchdringlichen Kreis um den Stein. Tomm wusste, wenn das Ritual schief ging – dann war auch er rettungslos verloren. Sie würden keine Gnade kennen …
Mit einem Seufzer stand er auf. Es war soweit.
Das Ritual näherte sich seinem Ende …
Er warf den Kopf wieder in den Nacken und starrte den Mond an. Das Tier hatte sich zurückgezogen, der Wolf schlief für heute Nacht.
Breitbeinig stellte er sich am Kopfende des Altarsteines auf. Dann nickte er in die Nacht, hielt die Arme von sich ab – Handfläche nach innen gekehrt.
„Wolfsmutter … Wolfsvater … lasst uns das Ritual vollenden!“
Zwei der Wölfe lösten sich aus dem Schatten. Große, mächtige Tiere – das Weibchen schneeweiß mit rot glühenden Lichtern – die Königin des Rudels. Der andere ein riesiges, nachtschwarzes Tier mit golden lodernden Augen, ihr Gefährte in der Nacht.
Sie stellten sich zu beiden Seiten des Mannes auf, öffneten dann das Maul und nahmen seine Handgelenke in die Fänge. Zerrissen ihm mit einem Biss die Pulsadern und setzten sich dann auf ihre Hinterbeine. Majestätisch zu seinen Seiten thronend, wie zwei Statuen.
Tomm spürte das Blut aus sich herauslaufen. Langsam hob er die Hände, hielt sie über Lenas Gesicht. Hielt die Arme so, dass sein roter Lebenssaft auf ihre bleichen, kalt gewordenen Lippen tropfen konnte.
Nach einer Weile hob er die Hände, presste die Wunden aneinander und hob sie dann in den Himmel, dem verblassenden Mond entgegen. Im letzten Schein des Blutmondes, der langsam seine rote Farbe verlor und sein ursprüngliches Silber zurückeroberte, ließ er dem Wolf in sich erneut die Zügel schießen. Bis er schließlich halb in Wolfsgestalt sein weithin hallendes Heulen ansetzte. Das gesamte Rudel fiel in das Klagen und Rufen ein – und verstummte einstimmig, als er die Arme sinken ließ.
„Wolfsmutter … Wolfsvater … gebt mir euren Segen! Gebt mir eure Kraft – und gebt mir die Magie unserer Rasse!“
Wieder bot er den beiden Wölfen zu beiden Seiten seine Handgelenke darf. Hoheitsvoll, fast herablassend, leckten sie über die sich wie von Geisterhand schließenden, klaffenden Wunden. Der Blutstrom aus seinen Adern versiegte.
Tomm sank auf die Knie. Das Ritual hatte ihn fast seine ganze Kraft gekostet.
Über Lena gebeugt lächelte er ihr ins Gesicht, presste dann seinen Mund in einem glühenden, innigen Kuss auf ihre Lippen – und atmete schließlich in ihren Mund hinein, bis sich ihre Lungen füllten und sich der Brustkorb in einem Atemzug hob.
Noch zweimal wiederholte er dies. Hockte sich dann auf seine Fersen zurück und beobachtete sie. Wieder lächelte er. Deutlich sichtbar hoben sich ihre Rippen nun in stetem, gleichmäßigem Rhythmus, immer und immer wieder.
Lena atmete wieder!
In jenem magischen Moment, in dem die Nacht in den Tag übergeht und sich der Mond vor der Sonne versteckt … in jenem filigranen Moment, wo alles in feenzarten Morgennebel gehüllt ist und sich das Gras perlend unter dem Gewicht der Tautropfen beugt … in jenem zeitlosen Moment, wo man meint alles hält den Atem an und steht still … in jenem ganz besonderen Augenblick schaute Tomm endlich hoch und begrüßte mit einem Lächeln den neuen Tag.
Er hatte Lena bis zu diesem Moment nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Fast bittend hatte er auf jeden weiteren Atemzug gehofft – und als er nun den Blick von ihr nahm und aufschaute, erkannte er, dass sich das Rudel längst zurückgezogen hatte.
Auch sie hatten längst den neuen Tag angenommen und sich in ihre menschlichen Gestalten zurückverwandelt – um unerkannt unter den Menschen zu leben und ihrem täglichen Geschäft nachzugehen, wie jeder andere auch.
So vorsichtig als wäre sie zerbrechlich, nahm er Lena auf die Arme und trug sie zu ihrem Wagen – wo er sie, in eine Decke gehüllt, auf den Rücksitz bettete. Er kehrte noch einmal zu der Lichtung zurück, kleidete sich an und setzte sich dann hinter das Steuer des Renaults.
Zügig fuhr er durch die gerade erwachende Stadt, bis in die Tiefgarage von Lenas Wohnblock. Dort nahm er sie wieder auf die Arme und hielt sie auch im Lift, während der Fahrt nach oben, fest an sich gedrückt.
In ihrer Wohnung ließ er eine Wanne voll warmem Wasser ein. Wusch sie dann von Kopf bis Fuß so
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