Lenas Mondnächte (German Edition)
wäre noch bewusstlos. Er war so stark, dass er ihr den Atem raubte. Rau und abgehackt schnappte sie nach Luft und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Wollte irgendwie dem Schmerz Herr werden, aber das war fast unmöglich.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie in der Lage war den Motor zu starten und die Heimfahrt anzutreten.
In der Tiefgarage ihres Hauses saß sie dann wieder wie erstarrt hinter dem Lenkrad und wusste, sie musste sich endlich aufraffen und aussteigen. Aber das erforderte allen Mut und das letzte Quentchen an Kraft – sich aus dem Renault zu kämpfen und sich bis zum Aufzug vorzutasten. Fünf Stockwerke hoch, lehnte sie an der Wand in der Liftkabine. Müde, zerschlagen, zerbissen, am Ende ihrer Kraft. Und sie war einfach nur noch heilfroh, dass ihr niemand auf dem Weg zu ihrer Wohnung begegnete. Sie hätte nicht gewusst, wie sie ihren so offensichtlich derangierten Zustand hätte erklären sollen. Oder die unübersehbaren Blutflecken auf ihrem Mantel!
Dann war sie endlich daheim, und endlich konnte sie auch der Schwäche wieder nachgeben. Sie musste sich nicht mehr beherrschen. Die Wohnungstür schloss sich hinter ihr … auf alle Viere sinken und allen Schmerz, alle Qual und alle Pein hinauszuschreien, brachte ihr fast so etwas wie Erleichterung.
Stunden später hatte sie sich dann soweit aufgerafft, dass sie sich ins Bad schleppen konnte. Eine heiße, lange Dusche – die allen Schmutz und alles Blut von ihr abwusch – zeigte ihr, dass der angerichtete Schaden nicht so groß war, wie sie anfangs befürchtet hatte. Die Kratzer auf der Haut würden heilen, ebenso die Bisswunden – und keine Narben hinterlassen. Sie waren nicht so tief, wie sie gedacht hatte. Die Blutergüsse würden sich nach und nach auflösen und verschwinden. Was bleiben würde, war eine zweite Wunde wie die auf dem Schambein – diesmal unter der linken Brust. Fast identisch mit der anderen.
Und was auch bleiben würde, dessen war sie sich gewiss – war die Pein der Seele.
Lena fühlte sich, als wäre sie nicht mehr von dieser Welt. Als wäre etwas, ein Teil ihrer Persönlichkeit in dieser Nacht auf der Strecke geblieben – unter den vielen Schlägen. Vernichtet von den ausgestandenen Qualen. Oder hinausgeschrien mit den gepeinigten Schreien um Hilfe.
Aber nichts und niemand konnte ihr helfen …
Auf dem Hügel war ihr niemand zu Hilfe geeilt – und jetzt, jetzt war es zu spät!
Verbittert und verschüchtert starrte sie auf die Scherben ihres Lebens. Auf das, was einmal ihre Selbstsicherheit gewesen war. Auf die Reste eines Vertrauens, das schamlos ausgenutzt worden war. Und auf diesen Witz von Zuversicht, der sie in dem Glauben bestärkt hatte, ihm gewachsen zu sein.
Wochenlang ließ Lena das Leben an sich vorüber gleiten. Siechte dahin in einem Nebel aus Unverständnis, Zorn, Angst und Leid. Verließ ihre Wohnung nicht, brach jeden Kontakt zur Außenwelt ab. Nur den Computer ließ sie Tag und Nacht laufen, die Mailbox immer geöffnet – voller Angst, er könnte sich melden und etwas von ihr fordern. Und doch auch maßlos enttäuscht, wenn wieder einmal die Sonne den Horizont schnitt und keine Nachricht von ihm eingegangen war.
Lena begann an ihrem Verstand zu zweifeln.
Warum ging sie nicht zur Polizei? Warum wartete sie auf ein Wort von ihm, auf eine Nachricht – wo er ihr dies alles angetan hatte?
Sie konnte es sich nicht erklären. Sie konnte es nicht in Worte fassen noch in Gedanken, was auf diesem Hügel mit ihr geschehen war. Sie wusste nur eines … mit jedem Tag der verstrich, verblassten die Spuren auf ihrer Haut mehr. Und mit jeder Nacht die ins Land ging, wuchs ihre Sehnsucht nach Tomm.
Sie fühlte sich einsam und brachte es aber doch nicht fertig, sich in die „Seligkeit“ einzuloggen. Sie vermisste ihn – und doch saß sie ohne zu tippen vor ihrem PC, starrte blind auf den Bildschirm und schrieb ihm nicht. Nur innerlich – sodass niemand es hören konnte – schrie sie voller Verzweiflung: melde dich doch endlich bei mir!
Sie hatte Angst. Irrsinnige Angst davon, was ein weiteres Treffen bringen würde. Vielleicht den Tod? Wie konnte er diese Raserei noch steigern? Konnte er überhaupt anders?
Er war ein Verrückter, ein Besessener – ein Psychopath, der sie töten würde …
Und doch … egal, was es sie kosten würde. Sie flehte insgeheim darum, dass er sie noch einmal zu sich rief! Das Einzige, was sie bei Kräften hielt und davor bewahrte, tatsächlich den Verstand
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