Lenas Tagebuch
belegen oder mit Käse, wobei das auf jeden Fall eine dicke Scheibe Wurst sein muss, damit die Zähne geradewegs in diesem belegten Brot versinken, wenn man abbeißt. Mama und ich werden einen körnigen Buchweizenbrei mit kalter Milch dazu essen und dann denselben Brei, mit Zwiebeln in einer Pfanne anbraten, in einer Pfanne, die vor lauter Öl trieft. Schließlich werden wir heiße, fette Blinis mit Marmelade essen und dicke runde Pfannkuchen. Mein Gott, wir werden so viel essen, dass wir Angst bekommen.
Tamara und ich haben beschlossen, ein Buch über das Leben sowjetischer Jugendlicher unserer Zeit, der neunten oder der zehnten Klasse, zu schreiben. Über vorübergehende Schwärmereien und die erste Liebe, über Freundschaft. Also so ein Buch wollen wir schreiben, das wir selbst gern lesen würden, das es aber leider nicht gibt.
Entwarnung, Entwarnung, der Fliegeralarm ist vorbei. Jetzt ist es Viertel nach acht. Ich sollte schlafen gehen. Morgen ist Schule.
Bis zum nächsten Mal.
21. November 1941
Heute habe ich Geburtstag. Ich bin 17 geworden. Ich liege mit erhöhter Temperatur im Bett und schreibe. Aka ist losgegangen, um irgendwo Butter, Getreide oder Nudeln aufzutreiben. Wann sie zurückkommt, weiß ich nicht. Vielleicht kommt sie mit leeren Händen zurück. Aber ich bin trotzdem zufrieden, heute Morgen hat mir Aka meine 125 g Brot und 200 g Bonbons gegeben. Das Brot habe ich schon fast ganz gegessen, was sind schon 125 g, das ist eine kleine Scheibe, aber die Bonbons muss ich irgendwie auf zehn Tage verteilen. Erst habe ich mit täglich drei Bonbons gerechnet, aber ich habe schon neun Stück gegessen, deshalb habe ich beschlossen, zur Feier des Tages noch vier Bonbons zu essen und ab morgen die Ordnung streng einzuhalten und täglich nur zwei Bonbons zu essen.
Die Lage in unserer Stadt bleibt sehr angespannt. Wir werden aus Flugzeugen bombardiert, aus Geschützen beschossen, aber das ist noch gar nichts, wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir uns selbst darüber wundern. Aber dass unsere Verpflegungssituation sich mit jedem Tag verschlechtert, das ist furchtbar. Wir haben nicht genug Brot. Man muss England danken, sie schicken uns einiges. So zum Beispiel Kakao, Schokolade, Bohnenkaffee, Kokosmilch, Zucker – das kommt alles aus England, und Aka ist sehr stolz darauf. Aber Brot, Brot, warum schickt uns niemand Mehl? Die Leningrader müssen Brot essen, sonst sinkt ihre Arbeitskraft. Alle sagen, und im Radio wird von nichts anderem geredet, dass wir den Feind bald von Leningrad vertreiben werden, dass es nun nicht mehr lange dauert. Und sobald der Feind vertrieben ist, werden sich Ströme von Lebensmitteln nach Leningrad ergießen. Aber so lange müssen wir durchhalten. Wir halten ja auch durch, aber das ist so schwer. Manchmal verzweifelt man auch, manchmal denkt man, nein, wir werden alle wie die Fliegen verrecken, wir werden den hellen Tag des Sieges nicht mehr erleben. Aber solche Gedanken muss man verscheuchen. Das sind schädliche Gedanken. Mein Gott! Wie sehr wünsche ich mir, dass Aka und Mama Lena und ich, dass wir alle diese schwere Zeit wohlbehalten überstehen und wieder frei atmend leben können! Wie sehr wünsche ich mir, dass Mama wieder zunimmt und Aka sich auch gut fühlt. Ich habe solche Angst um Mama und Aka. Denn echten Hunger werden sie nicht überleben. Und wir wissen ja nicht, was uns noch erwartet. Vielleicht wird Brot nur noch jeden zweiten oder jeden dritten Tag ausgegeben, und in den Kantinen wird es nichts mehr geben. Was dann? Aber nein, das dürfen sie nicht zulassen! England und die USA müssen uns mit Nahrungsmitteln versorgen. Das liegt doch in ihrem Interesse, dass die Deutschen eine Niederlage bei Leningrad erleiden. Weil ein Sieg bei Leningrad doch die beste Hilfe für Moskau ist! Und die Zerschlagung der Deutschen bei Moskau wird den Tag näher bringen, an dem es eine Wende in diesem historischen Krieg gibt, nämlich den Beginn des Rückzugs des Feindes. Das soll bitte bald, ganz bald geschehen! Jeder Tag bringt neue Hoffnung darauf, dass der feindliche Ring um Leningrad durchbrochen wird.
Tamara ist zu mir gekommen und hat … mitgebracht. Gestern gab ich ihr meine Lebensmittelkarten für Getreide und Fleisch mit und bat sie, in unserer Schulkantine ein Mittagessen für mich mitzunehmen, nämlich zwei Beilagen für die Getreidemarke und, wenn möglich, zwei Frikadellen oder zwei Portionen Wurst für die Fleischmarke, was immer sie da haben. Sie hatte es
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