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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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versprochen.
    Aka und ich hatten alle unsere Hoffnungen darauf gesetzt, was Tamara mitbringen würde. Wir hatten uns überlegt, dass Aka aus den Beilagen, aus dem Brei oder den Nudeln oder aus sonstwas eine wunderbare dicke Suppe kochen würde, zwei Töpfe voll, und dass wir die Frikadellen zur Feier des Tages auf drei aufteilen und mit Frikadellen belegte Brote essen würden. Und dann, o Schreck! Tamara kommt und bringt nichts mit, gar nichts, keine Beilage, keine Suppe, nichts … Erbost und stolz schwört sie, sie werde niemals und niemandem mehr etwas versprechen und nichts mehr für jemanden tun. Aus dem Gesagten verstehe ich nur, dass sie zwei Pausen lang in der Schlange stand und nichts mehr für sie übrig war. Es gab keine Beilagen mehr, deshalb hat sie eine Portion Suppe gekauft und verschüttet. Wie sie es geschafft hat, die Suppe zu verschütten, ist mir bis jetzt ein Rätsel. Was ich jedoch verstehe, ist, das das alles schrecklich ist.
    Bald wird Aka zurückkommen, frierend, müde und wahrscheinlich mit leeren Händen. Das ist das Ende. Sie wird erfahren, dass Tamara nichts mitgebracht hat, und ich weiß nicht, wie sie das verkraften wird. Und später wird Mama kommen, müde und hungrig, sie wird versuchen, heute früher heimzukommen, sie weiß, dass ich heute Geburtstag habe und was, o Gott, wäre, wenn Aka nichts zu essen machen kann? Ja, da werden wir meinen Geburtstag so richtig »feiern«. Nein, ich werde Tamara weder vor Aka noch vor Mama verteidigen, aber ich will auch nicht über sie schimpfen. Sie hat Pech gehabt, denn was passiert ist, ist ein Unglück, es wäre genauso, als wenn man ihr die Le­bens­mittel­karten gestohlen hätte oder etwas Ähnliches. Jedem kann so ein ­Unglück zustoßen.
    Natürlich ist es traurig, zum Heulen traurig, dass wir ausgerechnet an meinem Geburtstag hungrig, ohne Essen, dasitzen werden, und das wegen meiner allerbesten Freundin.
    Also, jetzt kann ich auch das Stückchen Brot essen, das ich für die Frikadelle aufbewahrt habe. Und dann könnte ich versuchen einzuschlafen, bis morgen zu schlafen.
    Meine liebe, über alles geliebte Mama wird hungrig nach Hause kommen. Ich werde sie an mein Herz drücken, fest, ganz fest drücken und ihr von dem über uns hereingebrochenen Unglück berichten. Sie wird nicht böse sein, glaube ich. Sie wird wahrscheinlich schon irgendwas gegessen haben. Sie soll nur nicht böse sein, mir den Feiertag nicht verderben. Mehr will ich nicht. Wir werden ein Glas Wein trinken und dann Tee mit Bonbons.
    Bloß nicht streiten, alles soll bloß harmonisch und friedlich sein. Das ist mein größter Wunsch.
    Es ist schon halb sieben, aber Mama ist immer noch nicht da. Durch das Fenster hört man unsere Flak verwegen feuern, der zweite Alarm dauert an. Hitler will uns heute eine richtige Tracht Prügel verpassen, für gestern und für heute.
    Ja, so wie ich gedacht hatte, ist es auch gekommen. Um fünf Uhr kam Aka, müde, verfroren, mit leeren Händen nach Hause. Sie hat nach Nudeln angestanden, und es hat nicht mehr für sie gereicht. Tante Sascha war eher dran, die hat welche abbekommen, aber Aka nicht mehr. Tante Sascha hat Aka nicht mal angeschaut. Was für ein Mensch! Hat das alte Mütterchen nicht vorgelassen. Gott, es ist unvorstellbar, was für ein Pech wir haben. Als hätten sich alle Götter und Teufel gegen uns verschworen.
    Ich habe schrecklichen Hunger, fühle eine furchtbare Leere im Magen. Ich sehne mich nach Brot. Ich würde, glaube ich, jetzt alles geben, um etwas in meinen Magen zu bekommen.
    Wann werden wir wieder satt sein? Wann hört diese Qual auf? Wann werden wir wieder etwas Kräftiges, etwas Sättigendes essen, einen vollen Teller Brei oder Nudeln, mit flüssiger Nahrung kommt man nicht weit. Wir essen doch schon über einen Monat lang nur Flüssigkeiten. Nein, so zu leben ist undenkbar. Allmächtiger, wann endet denn endlich diese Qual!! Und heute ist mein Feiertag, mein Geburtstag, den hat man nur einmal im Jahr. Ich weiß noch, Aka hat an diesem Tag immer Kuchen und Brezeln gebacken. Wir saßen um den Tisch herum, haben Tee getrunken, haben mit Wein angestoßen. Auf dem Tisch waren immer Bonbons, Piroggen und manchmal Torte, Wurst- und Käsebrote. An diesem Tag, vor allem in den letzten Jahren, hatten wir keine Gäste, aber wir haben zu dritt diesen Tag richtig schön gefeiert. Nein, ich werde den 21. November des Jahres 1941 niemals vergessen. Mein ganzes Leben lang werde ich mich an diesen Tag erinnern. Am 21.

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