Lenas Tagebuch
zum Unterricht kommen.
Lieber Wowka. Auch wenn er wie ein Scheusal aussieht, ich liebe ihn trotzdem.
26/IV
Alles weiß, von Schnee bedeckt.
Dächer, Straßen – weiß im Nu.
Auch der Park ist gänzlich weiß.
Winterschnee doch ist es nicht.
Jetzt ist es nach ein Uhr nachmittags. Die Dächer sind schon abgetrocknet. Ich bin extra in die Gorochowajastraße gegangen, um Brot zu kaufen, und hatte wirklich Glück. Das Brot ist weich, luftig wie Watte, deshalb hat man mir ein großes Stück gegeben. Ich brachte das Brot nach Hause und ging in die Kantine. Heute waren nur wenige Leute da. Ich nahm zwei Portionen Sojabrei und Wurst. Im Moment sitze ich mit den Beinen unter der Decke und höre Radio. Ich denke darüber nach, was ich machen soll. Wenn schon jetzt das Eis des Ladogasees in Bewegung geraten ist, wird im Mai über das Wasser evakuiert. Soll ich dann gleich zu Schenja fahren oder den Mai über zur Schule gehen, mich ein wenig aufpäppeln, und danach fahren? Ich weiß einfach nicht, wie ich es machen soll. Einerseits möchte ich wieder in der Schule sein, mit meinen Klassenkameraden am Pult sitzen, die Bücher und Hefte hervorholen, wie verlockend. Und wenn ich erst an die Verpflegung denke. Wenn du morgens zur Schule kommst: heißer, süßer Tee und Brot mit Fett. Ach ja, das habe ich ganz vergessen, zum Frühstück gibt es doch Brei, heißen Brei mit Fett, und danach Tee. Mit vollem Bauch wird das Lernen richtig Spaß machen. Ein paar Stunden später gehst du dann Mittag essen. Das Mittagessen kann man zum Teil mit nach Hause nehmen und den anderen Teil dort essen. Genauso das Brot.
Ja, das klingt gut. Aber was schlecht ist: Wenn du nach Hause kommst, ist niemand da, nur Fremde ringsum, keiner interessiert sich für dich. Und dann die Luftangriffe, der Artilleriebeschuss. Soll ich wieder mein Leben riskieren? Man kann jeden Augenblick umkommen. Schrecklich. Ich will leben. Was soll ich tun. Mein liebes Tagebuch, wie schade, dass du mir keine Ratschläge geben kannst.
Andererseits, wenn ich auf alles hier pfeife und wegfahre, dann bin ich unterwegs satt. Und dann komme ich endlich nach Gorki. Dort werde ich die Mogilewitschgasse suchen. Diese Gasse werde ich dann entlanggehen. In einer Hand den Koffer, in der anderen mein Bündel, und das Herz wird mir vor Aufregung bis zum Hals klopfen. Endlich komme ich zum Haus 5, Wohnung 1. Dort werde ich dazugehören. Um mich herum werden keine Fremden sein, alle gehören wir zusammen. Schenja, Njura, Lida, Serjoscha, Danja. Wir setzen uns alle gemeinsam an den Tisch, und ich gehöre zu ihnen als ein gleichberechtigtes Familienmitglied. Meine lieben Verwandten, seid gegrüßt.
Lieber Gott, was für ein Glück wird das sein!
Was soll ich tun?
Und was wird danach sein? Ich werde mit Lida zusammen arbeiten. Sie wird mir die Stadt zeigen. Gemeinsam werden wir überall hingehen. Dann kommt der Sommer, ein wunderschöner Sommer. Ringsum ist alles grün, und die Wolga, die schöne Wolga liegt vor mir. Auch der Krieg wird vorübergehen. Schenja und ich werden nach Moskau fahren. Sei gegrüßt, Moskau, sei gegrüßt, du Schöne. Jetzt werde ich von einer Leningraderin zu einer Moskauerin. Mit Leningrad habe ich abgeschlossen.
Natürlich werde ich fahren. Was sind schon süßer Tee und ein Pfund Brot im Vergleich zur Einsamkeit. Fort, weg mit der Einsamkeit. Ich will zu euch fahren, zu meinen fernen Verwandten. Schenja, hörst du, wie mein Herz schlägt, es schlägt mir bis zum Hals, es will zu dir, Schenja.
Mit allen Sinnen, mit meinem ganzen Wesen bin ich schon dort, in Gorki. Alle meine Wünsche, mein ganzes Streben kennen nur ein Ziel, schnell, möglichst bald euch alle zu umarmen!! Dich fest zu umarmen, Schenja! Denn du bist meine dritte Mutter. Herrgott, Allmächtiger! Erhöre mich. Gib, dass ich heil und gesund nach Gorki komme. Nur darum bitte ich dich.
Gorki, Gorki, Gorki … Gorki, so schnell wie möglich will ich zu dir, zu dir!!!!
Morgen bekomme ich Tee, Fett und Zucker. Ich werde unbedingt in die Teestube gehen und zwei Gläser süßen Tee trinken und Brot mit Fett dazu essen.
27. April
Wieder Fliegeralarm und Artilleriebeschuss. Schon der zweite Fliegeralarm heute. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne glänzt. Ich stelle mir vor, was am 1. Mai geschehen wird. Ja, das letzte Mal hat es nicht geklappt, und ich konnte nicht fahren. Das sind richtige Glückspilze, die noch wegfahren konnten. Sie werden leben. Und ich … das ist
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