Lenke meine Fuesse Herr
Äste ausschneiden, zwei Leopardpanzer donnern vorüber — dann nimmt uns der Wald wieder auf. Schön kühl — es ist sonnig und warm heute. Doch langsam wird es Zeit, an Quartier zu denken. Der Rucksack drückt, mein Ischias macht Zicken, ich habe Hunger. Den andern geht es nicht besser. Unser Tagesziel ist Wattenwil. Wohin? Andi und ich sprechen im „Bären“ vor — keine Zimmer! Doch an der Restauranttür ein Plakat: „Schlafen im Stroh bei den Künzis in der Hotmatt!“ Die holen einen sogar in Wattenwil ab. Das ist es!
Ich gehe in die Apotheke, kaufe mir Voltarensalbe. Daneben erstehe ich in einem Sportgeschäft ein Funktionsunterhemd: Die Baumwollshirts, die ich mithabe, werden blitzschnell schweißnass und dann ist die Erkältungsgefahr groß. Nur etwas frustriert bin ich, als ich mir Größe „L“ ausgesucht hatte und der Verkäufer mir mit den Worten: „Unterschätzen Sie sich da nicht ein bisschen?!“, ein „XXL“ in die Hand drückt.
Im Bären gibt es noch eine herrliche Lasagne und ein Mineralwasser, Benni kriegt eine große Schüssel Pasta ohne Soße vom Wirt spendiert, dann holt uns Regine Künzi ab. Hund, Stöcke und zwei der Rucksäcke im Laderaum des Kombis, das andere Gepäck nehmen die Fondpassagiere auf den Schoß — so geht es halsbrecherisch den Berg hinauf. Wir trösten uns über die „frevlerische“ Autofahrt hinweg: Der Weg von der Hotmatt zum Jakobsweg ist sogar noch etwas weiter als der von Wattenwil zum Treffpunkt (die paar Höhenmeter, die wir uns morgen sparen werden, übersehen wir geflissentlich).
Das Strohlager ist herrlich — und wir kommen gerade rechtzeitig, um durch das Fenster zwischen Aufenthaltsraum und Stall die Geburt eines Kalbes mitzuerleben. Jakobus soll der Riesenkerl heißen, uns Pilgern zu Ehren. Ich blättere noch ein bisschen im Gästebuch, doch nach einem Schoppen Rotwein bin ich sogar zum Tagebuchschreiben zu müde und verziehe mich bald ins Stroh.
Mittwoch, 18. Mai 2005
Wattenwil – St. Antoni 29 km
Etwas länger geschlafen als sonst — gerade rechtzeitig zum Frühstück um halb sieben aufgewacht. Es gibt gutes, hausgemachtes Müsli, Brot, Käse, Marmelade, Kaffee, Milch — ein gutes Fundament für einen langen Tag! Draußen nieselt s. Um halb acht geht’s los. Durch den Wald, wieder einmal steil bergauf und bergab. Wir kommen durch Riggisberg, das im zweiten Weltkrieg von den Engländern zerbombt und wieder aufgebaut wurde, zur Kirche geht’s steile Treppen hinauf. Die Kirche selbst ist zwinglianisch karg — beeindruckend der uralte Chor, fast eine Viertelkugel unter dem Turm. Lustig die Bänke für die Presbyter — da können sie während des Gottesdienstes mit strengen Augen die Gemeinde überwachen! Ich sehe sie im Geiste steif und schwarzgekleidet dasitzen und ihre würdevollen Blicke strafend auf jeden richten, der nicht andächtig genug aussieht...
Bergauf, bergab durch nasse Wiesen — es nieselt immer noch. Wir rasten in Rueggisberg. Ich wechsle das nasse Hemd, trinke Tee. Zwei Schwäbinnen kommen in die Gaststube, hatten bereits in Heitenried bestellt. Wir raten von den Waldwegen ab, die sind heute glatt und matschig, doch sie wissen es besser und sind bald verschwunden. Es regnet stärker.
Wieder steil auf- und abwärts. Tief sind wir in das Tal der Schwarzwasser hinabgestiegen, haben sie auf der kühnen Brücke überquert und sind nach mühsamem Aufstieg endlich gegen halb zwei in Schwarzenburg. Das Bahnhofsrestaurant lockt. Drinnen wechsle ich schon wieder das Hemd — nur das „Funktionsleiberl“, das ich gestern gekauft habe, hält warm und trocken. Andi versucht telefonisch im nächsten Ort Quartier zu machen — alles belegt! Schließlich erhält er die Zusage vom Katholischen Bildungsinstitut in St. Antoni. Auf, die zwei Stunden packen wir auch noch! Es kommen historische Jakobswegabschnitte: mittelalterliches Pflaster, Trittsteine, liebevoll gepflegt und restauriert. An Heitenried vorbei und dort sehe ich an einer Kapelle das erste Mal das neue Jakobswegzeichen — nun wird es mich begleiten bis zum Atlantik. Endlich Quartier in diesem Freizeitheim. Schönes Zimmer, allerdings ohne Frühstück und unchristlich teuer. Doch wir haben keine andere Wahl — auch ein Bett bei Mutter Natur kommt bei dem Regen nicht in Frage. Wäsche waschen und im Heizungskeller aufhängen, Schuhe ausstopfen — es regnet. Noch ein Wasser und ein Eisenkrauttee, etwas in der Bibliothek geschmökert („Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg“
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