Lenke meine Fuesse Herr
und gesagt hatte: „Sie schaffen das nie!!“ Und da hatte ich mir geschworen: Ich komme zu Fuß nach Santiago und Finisterre — und wenns auf allen Vieren ist!
So zurückhaltend wir uns sonst begegnet sind — jetzt liegen wir uns in den Armen, sie bietet mir das Du an und meint: „Schlank bist du geworden — aber es steht dir!“ Die Falkenbergs laufen den Jakobsweg abschnittsweise, jeden Sommer so vier Wochen. Dieses Jahr sind sie auf dem Weg von Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Wir gehen zu viert weiter, etwas zu langsam für meinen Geschmack, doch abwechselnd mit Mary oder ihrem Mann Peter zu quatschen, tut schon gut! Es geht durch wildromantischen Wald, wir fotografieren uns gegenseitig, an einem kleinen Kreuz eine kurze, schöne Andacht. Wir kommen nach Saint-Côme-d’Olt mit seinem verdrehten Kirchturm — ein wunderbares mittelalterliches Städtchen mit schönen Häusern und einer eindrucksvollen Kirche. Auf dem Kirchplatz machen wir Picknick unter einer großen Linde — Mary und ich singen zweistimmig „Am Brunnen vor dem Tore“. Die beiden schwatzenden Pfälzer schnattern vorbei und dann kommt auch noch ein älterer Herr über den Platz, der uns sehr nach einem Allemand auf dem Chemin vorkommt.
Rolf und ich verabschieden uns von Falkenbergs — wir haben heute noch viel vor: Estaing ist noch ein gutes Stück voraus! Über die Brücke, dann weiter auf der Straße — wir haben beschlossen, den kürzesten Weg zu gehen. Die Straße begleitet den Fluss — schöner Blick auf die alte Burg — bis zum Campingplatz von Espalion — und da haben wir irgendwie Rudolf (Wastl) aus Kriegshaber bei Augsburg aufgegabelt, der sich uns anschließt, als wir in der Fußgängerzone einen Kaffee trinken gehen. Die neugotische Kirche im Ort enttäuscht, ich fotografiere noch die alte Brücke, irgendwann ist Wastl in einer Apotheke verschwunden, wir schlagen uns durch Vorstädte den Lot entlang. Dann holt uns der Augsburger wieder ein und ich höre hinter mir eifriges und pausenloses Plaudern. Ich gehe scharfes Tempo, um dem zu entgehen — fast hätte mich ein Motorradfahrer gerammt, der einen Traktor überholte. Wir bleiben auf der Straße — Saint-Pierre-de-Besuejouls, die uralte Kirche aus der Karolingerzeit, ist leider zu — und dann haben wir auch den markierten Weg wieder. Endlich in Estaing! Über die Brücke — und vor der Pinte am Ortseingang gibt’s erst einmal ein großes Bier: Das haben wir uns verdient! Wir finden die Hospitalité: eine christliche Gemeinschaft, die Pilger aufnimmt — aus Nächstenliebe. Man fragt, wie weit wir laufen — und als Pilger bis Santiago dürfen wir unsere Wäsche abgeben: Sie wird für uns gewaschen! Herrlich — nach all den Handwäschen mit Shampoo oder Seife tut das den Kleidern sicher mal gut. Ich gehe noch die Kirche besuchen, doch die ist leider geschlossen. Doch das wunderschöne Kreuz vor der Treppe fesselt mich.
Gemeinsames Abendessen: eine Wohltat, diese Gemeinsamkeit in einer großen Gruppe. Die Pilger bekommen Wein, die Brüder und Schwestern der Gemeinschaft trinken Wasser. Und das alles um Gotteslohn, nur gegen Spende. Später gemeinsame Abendandacht in der Hauskapelle: schön, diese lebendige Frömmigkeit, mit der die Gesänge der Komplet psalmodiert werden, und das stille Verharren vor der konsekrierten Hostie ist ergreifend. Da werden Gedanken unwillkürlich und unweigerlich zum Gebet. Still verlässt einer nach dem anderen den Raum.
Sonntag, 12. Juni 2005
Estaing – Sénergues 29 km
Wastl will heute weit gehen und verabschiedet sich gegen sechs Uhr dreißig, wohingegen Rolf und ich nicht viel Vorhaben. So gehe ich noch in die Morgenandacht und dann ist gemeinsames Frühstück. Rolf und ich überqueren wieder den Fluss, denn der Chemin führt auf der anderen Seite weiter. Auf der Brücke holt uns ein junger Schweizer ein, der auch in der Herberge übernachtet hatte — der Junge trägt den gleichen Lederhut wie ich! Zu dritt gehen wir weiter. Erst einmal geht es hoch hinauf; es ist heiß, fast schwül, und wir sind froh, als wir einen Trinkwasserbrunnen erreichen. Der wird noch von einer Gruppe Französinnen belagert — erst als die weiterziehen, können auch wir uns eine Handvoll Wasser ins Gesicht werfen, trinken und unsere Flaschen neu auffüllen. In Golinhac setze ich mich kurz in die Kirche, auch der Schweizer kommt, bleibt aber länger sitzen als ich. Erst in Conques werde ich ihn wieder sehen. Über Wald- und Wiesenpfade geht es nach
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