Lenke meine Fuesse Herr
setzen, Gott für den Schutz und die Führung bis hierher danken, ehe ich „zur Besichtigung schreiten“ kann. Ich finde die Jakobusstatue und den erschöpften Pilger zu ihren Füßen, finde hoch oben im Querschiff die berühmte Verkündigungsgruppe — und da ist ein holländischer Tourist, der ganz erstaunt durch sein Teleobjektiv blickt: Maria hat drei Hände! Einige Schritte zur Seite lösen das Geheimnis: Hinter ihr steht eine Magd, die ihr Gewand rafft. Ich besuche die Schatzkammer mit den über tausendjährigen Kostbarkeiten und den Kreuzgang. Dann setze ich mich auf eine Mauer und schmause aus meinen Vorräten. Der junge Schweizer aus Estaing gesellt sich zu mir, wir unterhalten uns ein bisschen, doch dann will er weiter. Ich packe gerade meine Brotzeit zusammen, als ich die Falkenbergs entdecke, die vor dem Tympanon stehen und es bewundern.
Wir trinken gemeinsam einen Kaffee und gegen 14.00 Uhr checken wir dann bei den Prämonstratensern ein. Ich teile ein Zimmer mit dem älteren Deutschen, der uns vor zwei Tagen schon vor der Kirche von Saint-Côme-d’Olt aufgefallen ist. Wilhelm heißt er, ist über 70, war schon im Frühjahr einmal von Le Puy aus losgegangen und hatte einen Unfall — jetzt macht er den zweiten Anlauf, kaum dass er aus dem Krankenhaus draußen ist. Respekt vor dem alten Herrn.
Janet und André sind auch da, Falkenbergs erzählen von den beiden Deutschen, die mir auch immer wieder über den Weg gelaufen sind — die mit der Schafherde — einer hat derartige Schwierigkeiten mit dem Knie, dass die beiden hier aufgeben müssen. Das Abendessen ist vorzüglich und dann lädt man uns zum Chorgebet in der Kathedrale ein: Ein Erlebnis, gemeinsam mit den Mönchen die Komplet zu singen, einige dürfen Fürbitten vorlesen, die Pilger vor uns hinterlassen haben — diese selbstverständliche, tiefe Frömmigkeit, die ich hier erlebe, nimmt mich gefangen. Nach dem Gottesdienst spielt ein Klavier — die Kirche ist schwach beleuchtet, ich sitze in einer Bank — und dann wird „Meine Hoffnung und meine Freude“ gespielt, das ich von der Kantorei her so liebe — ich lasse meinen Tränen freien Lauf und kann mich lange nicht beruhigen.
Dienstag, 14. Juni 2000
Conques – Montredon 31 km
In der Nacht habe ich Wilhelm dreimal wecken müssen — er schnarchte so ohrenbetäubend, dass sogar Ohropax nichts half! Trotzdem bin ich ausgeruht und fühle mich frisch. Nach dem Frühstück bin ich gegen halb acht auf der Straße. Einen der beiden Pfälzer, die hier aufhören, treffe ich noch — er ist recht frustriert. Im Stillen danke ich Gott, dass ich bis jetzt nicht so weit bin, aufgeben zu müssen.
Es geht bergab, zum Tor hinaus zum Fluss, über die alte Brücke, und dann beginnt der berüchtigte Aufstieg, über den man sich so viele Schauermärchen erzählt hat. Gut, es geht steil und steinig, doch schneller als erwartet bin ich an der Chapelle Sainte Foy und da oben rasten gerade André und Janet. Gemeinsam weiter, es ist gar nicht sooo schlimm! Schon regnet es nicht mehr.
Ich nehme die alte, kürzere Strecke, Janet und André wählen eine andere Variante. Es geht endlos die Straße entlang — irgendwann bin ich wieder mit Falkenbergs zusammen, wir gehen ein Stück gemeinsam — dann ziehe ich davon. Eine Frau mit einem sichtlich erschöpften Esel begegnet mir und dann komme ich an die Rochuskapelle von Noailhac, wo ich Falkenbergs wieder treffe: Gemeinsam bewundern wir die herrlichen Fenster in dem unscheinbaren Bau, vor allem das, auf dem das Licht den Menschen aus dem Rachen des Leviathans emporhebt — herrlich!
Alleine gehe ich weiter. Ich überhole Wilhelm, der sich noch einmal für sein Schnarchen in der Nacht entschuldigt. Ich gehe nicht hinunter nach Decazeville, sondern bleibe oben auf dem Kamm: herrliche Blicke in die Täler. In einer Einfamilienhaussiedlung, faszinierend, zwei Gottesanbeterinnen auf einer Torsäule — bin ich schon so weit im Süden? Ich habe solche Tiere noch nie lebendig und in Freiheit gesehen.
Als ich eine lange Steigung im nächsten Ort hochkeuche, lädt mich ein netter Herr ein, in seine Küche zu kommen und etwas zu trinken — ich sehe wohl recht verschwitzt und mitgenommen aus! Ich erzähle, woher und wohin, und als Madame sich wundert, dass ich es wage, diesen ganzen Weg alleine zu gehen, sage ich: „Madame, un pèlerin n’est pas seul!“ Sie blickt mich etwas verwundert an, dann nachdenklich, schließlich sagt sie leise: „Oui, j’ai
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