Lenke meine Fuesse Herr
Espeyrac — wir lechzen nach einem Bier! Vor der Kirche treffen wir ein deutsches Ehepaar — Touristen, keine Wanderer — und die betrachten ganz entsetzt meine Sandalen und können nicht glauben, dass ich einen großen Teil des Weges hierher damit gelaufen bin — so wie sie es ohnehin kaum fassen können, dass Rolf und ich von unseren jeweiligen Heimatorten den ganzen Weg zu Fuß hierher gekommen sind.
Das zweite Bier (auf seit dem Frühstück nüchternen Magen) war wohl zu viel: Als wir loslaufen habe ich das unbestimmte Gefühl, nicht nur leichte, sondern erhebliche Schlagseite zu haben. Doch wir haben ja um 17.00 Uhr in Sénergues das Rendezvous mit der Frau, die uns zu unserem Quartier bringen soll, also muss ich mich zusammenreißen und nach einigen hundert Metern geht es auch schon wieder. Wir sind pünktlich an der Gîte — aber niemand da, der uns abholt. Zu allem Überfluss fängt es auch noch zu nieseln an und es kommt ein unangenehmer Wind auf. Wir haben uns erst mal in einer Art Bushäuschen verkrochen, aber dann stellen wir fest, dass die Herberge offen ist — wir kommen überall hinein, nur nicht in die Schlafräume — und alles menschenleer! Wir sind gerade so weit, dass wir uns auf den Sofas im Untergeschoß breit machen wollen, da kommt eine zierliche junge Frau angefahren; die Dame, auf die wir gewartet haben.
Großes Problem: Wegen eines Missverständnisses hat sie uns erst morgen erwartet — das Quartier ist ausgebucht. Doch Isabelle führt uns in ein anderes Haus (ich habe den Eindruck, es ist das ihrer Eltern), verhandelt ein bisschen und dann haben Rolf und ich für je 15,50 € ein halbes Ehebett — offensichtlich in einem privaten Schlafzimmer. Im Bad können wir uns frisch machen — herrlich, zu duschen, obwohl ich kaum wage, mich in dem kleinen Bad umzudrehen — und dann gehen wir in das einzige Lokal des Ortes essen: großer Salat, Schinkenomelett, Eis, dazu zwei Bier:
20,00 €! Aber es hat geschmeckt. Wir beobachten zwei Busse, die ihre Touristenladung in die Gîte entlassen, streunen noch etwas durch den schönen historischen Ort. Kaum sind wir so gegen zehn Uhr im Bett, fängt es draußen an zu gewittern und zu schütten. Gegen halb elf schlafen wir endlich ein.
Montag, 13. J uni 2006
Sénergues – Conques 12 km - Ruhetag
Das ganze Dorf schläft noch, als Rolf und ich gegen halb acht loslaufen. Wir hatten gehofft, wir könnten irgendwo frühstücken, aber diese Hoffnung trog! Also mit leeren Mägen und ohne Kaffee den Berg hoch. Die Luft ist frisch und der Himmel bedeckt, doch es regnet nicht.
In Saint Marcel die wunderschöne alte Kirche mit dem wunderbaren Licht, das durch die bunten Fenster dringt — und außen der rosenbewachsene Eingang neben dem alten, verwitterten Grabstein — dieser Eingang ist für mich ein Symbol für die Kirche an sich: verwittert, schadhaft wie der alte Stein. Doch junges, blühendes Leben rankt sich darum und gibt Hoffnung auf Weiterbestehen — und die Tür steht jedem offen und verspricht Ruhe, Einkehr und Geborgenheit.
Am Ortsausgang steht am Weidezaun ein Esel. Ich gehe auf ihn zu, will etwas mit ihm plaudern: Da reißt er sein Maul auf — richtig viereckig wird es — und bricht in ein derart herzzerreißendes, markerschütterndes Geschrei aus, dass Rolf und ich uns die Bäuche halten vor Lachen!
Ein bisschen Straße und dann ein knöchelbrechender Abstieg. Trotz — oder gerade wegen — der Wanderstiefel, die ich heute trage, knicke ich böse um! Dann eine Wohnstraße — ein wilder Feigenbaum begrüßt mich, der erste, den ich auf meiner Wanderung sehe — und dann stehen wir über den Dächern von Conques. Steile, enge Gassen hinab — da lockt ein Hotel und wir gönnen uns den Luxus eines „petit dejeuner“ für 10,00 € pro Kopf! Doch der stille ummauerte Innenhof unter der Glyzinienpergola, die herrlichen Croissants, die vier Sorten Marmelade — der ganze Luxus war es wert!
Rolf verabschiedet sich. Er geht weiter, während heute mein Ruhetag ist — außerdem hatte ich mich mit den Falkenbergs hier verabredet — und ich möchte mir Conques, von dem ich so viel gelesen und gehört habe, ausgiebig ansehen.
Ich stehe staunend vor der Kathedrale, betrachte das riesige Tympanon, betrete schließlich die Kirche — und da kommen mir die Tränen, so sehr überwältigt es mich: der hohe, stille, harmonische Raum, der Atem Gottes, den ich in dieser Kirche zu spüren glaube... Ich muss mich erst einmal in eine Bank
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