Lennox 01 - Lennox
unter uns blicken. Edinburgh lag stumm und grau unter einem Himmel, der mit sonnenuntergangsroter Seide durchschossen war. Ich dachte an meine anderen Besuche bei Helena, in einer anderen Wohnung über einer anderen Stadt, wo sie gekocht, wo wir geredet und gelacht und uns gegenseitig mit Gesprächen über die Zukunft etwas vorgemacht hatten. Meiner Erfahrung nach war die Zukunft wie ein Tagesausflug ans Meer in Largs: Im Prinzip hörte es sich großartig an, aber wenn man ankam, war es doch wieder der gleiche alte Scheiß.
Plötzlich war ich müde und wünschte, ich wäre nicht gekommen. Doch als Helena mit zwei Tellern Gulasch durch den Perlenvorhang trat, lächelte ich, so fröhlich ich konnte.
»Hier ist es kaum möglich, halbwegs anständige Zutaten aufzutreiben«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was die Briten gegen Essen haben, bei dem man etwas schmeckt. Bei dem man etwas schmecken möchte.« Sie lachte und offenbarte einen Hauch von dem Mädchen, das sie vor dem Krieg wahrscheinlich gewesen war. Sie wirkte entspannt, und ich bemerkte, dass ich ihren Akzent stärker heraushörte. Etwas von der Helena, mit der ich vor zwei Wochen gesprochen hatte, hatte sie im unteren Teil des Hauses zurückgelassen wie ein Gesellschaftskleid, das sie nur zur Arbeit trug.
Das Gulasch war so köstlich, wie es immer gewesen war. Wir tranken den Wein, den ich mitgebracht hatte, und dann eine zweite Flasche aus Helenas Vorrat. Wir redeten und lachten noch ein bisschen, und dann fielen wir mit einer beinahe Furcht einflößenden Wildheit übereinander her. Sie kratzte und biss mich und starrte mich mit Augen an, in denen fast so etwas wie Wahnsinn stand. Danach lagen wir nackt auf dem Vorleger, tranken, was vom Wein noch übrig war, und rauchten.
»Warum sagst du mir nicht, wieso du wirklich gekommen bist?«, fragte sie. Ihre Stimme klang plötzlich wieder kalt und hart.
»Ich bin gekommen, um dich wiederzusehen, Helena«, sagte ich und hätte mir beinahe selbst geglaubt. »Nachdem ich dich neulich gesprochen hatte, bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Wir beide.« Zumindest das entsprach der Wahrheit.
»Es gibt kein Uns«, erwiderte sie, doch die Kälte war ein wenig getaut. Sie drehte sich auf die Seite, und wir blickten einander in die Augen. »Ein Uns hat es nie gegeben. Warum sparst du dir und mir also nicht viel Zeit und sagst, was du willst. Es sei denn, du hast es gerade bekommen.«
»Tu das nicht, Helena. Das passt nicht zu dir.«
»Was? Zynisch sein?« Sie lachte und drehte sich wieder auf den Rücken. Während sie rauchend an die Decke starrte, weidete ich mich an ihrem fein modellierten Profil. »Du und ich, wir sind beide aus dem gleichen faulen Holz geschnitzt, Lennox. Also lass den Mist und sag mir, was du willst.«
»Okay, ich wollte dich tatsächlich etwas fragen. Aber ich bin hergekommen, um dich wiederzusehen. Um bei dir zu sein.« Ich setzte mich auf und zog an meiner Zigarette. »Weißt du, Helena, jemand ... ein Freund ... hat neulich etwas zu mir gesagt. Über das Weggehen. Über einen Neuanfang. Warum sollten wir das nicht können?«
Helena wandte sich mir zu. Das einzige Licht kam vom Kaminfeuer, und sein Rotgold schälte die Konturen ihres Körpers heraus. Als sie sprach, war ihre Stimme sehr leise. »Hör auf. Da waren wir schon.«
»Haben wir uns denn geirrt? Warum sollte es nicht gehen?« Ich erkannte, dass ich in diesem Augenblick ernst meinte, was ich sagte. »Meine Familie hat Geld. Und ich habe ein bisschen gespart. Und du hast sicher auch etwas auf die Seite gelegt. Als ich letztes Mal hier war, hast du gesagt, du träumst davon, alles zu verkaufen und ein neues Leben zu beginnen. Wir könnten nach Kanada gehen. Weg von jedem und allem, was in unserem Leben schiefgegangen ist.«
Helena stand auf und streifte sich das Kleid über. Ihre Stimme war wieder eisig. »Das Wichtigste, was mit unserem Leben schiefgegangen ist, sind wir selbst. Wie ich schon sagte, Lennox, du und ich, wir sind beide aus faulem Holz. Was aus uns geworden ist, schieben wir auf das, was uns passiert ist, aber in Wirklichkeit ist die Fäule schon immer in uns gewesen. Es war nur ein bisschen Geschichte nötig, um sie an die Oberfläche zu holen. Vergiss, was ich letztes Mal gesagt habe ... manchmal rede ich Unsinn, um nicht den Verstand zu verlieren. Warum sagst du mir nicht einfach, was du von mir willst?«
Manchmal fühlt man sich nackter als andere. Ich stand auf und zog mich an. Mir war unbehaglich unter
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