Lennox 01 - Lennox
bahnten uns mit den Schultern einen Weg durch die Menge, und ich ließ Elsie am Rand des Tanzbodens zurück, während ich uns etwas zu trinken holte. Ich entdeckte einen Tisch mit zwei freien Plätzen, und als ich zurückkam, führte ich sie dorthin. Sofort begann sie – wie Glasgower es mit jedem Fremden tun – ein Gespräch mit den drei Mädchen, die dort bereits saßen. Wir tanzten und tranken den ganzen Abend, und im Treibhaus des Tanzlokals hatte der Alkohol kaum eine Wirkung auf uns.
Kurz nach zehn erhöhte sich die Dichte der Menschenmenge im Troc, als eine Woge neuer Gäste hereinrauschte – alles Leute, die man aufgrund der presbyterianischen schottischen Schankbestimmungen aus den Kneipen der Gegend auf die Straße geworfen hatte. Eine Gruppe junger Burschen war darunter, keiner älter als neunzehn, in deren Augen mordlüsterner Hass brannte. Es war deprimierend vorhersehbar, was als Nächstes geschehen würde, und meine Instinkte rieten mir, mir Elsie zu schnappen und den Abgang zu machen.
»Gleich gibt’s Ärger«, sagte ich, als sie widersprach. Ich hatte recht. Gerade, als wir die Tür erreichten, hörten wir die vertrauten Geräusche einer losbrechenden Bandenschlägerei.
Ich parkte am Krankenhaus um die Ecke. Glasgow war wieder in Nebel gehüllt, nicht so dicht wie an dem Abend, an dem ich Lillian Andrews kennengelernt hatte, aber dicht genug, dass wir im Auto das Gefühl bekamen, allein zu sein.
Nach ein bisschen Küssen und Fummeln schob Elsie mich von sich weg.
»Das genügt jetzt, Mr. Lennox.« Sie lächelte mit kokettem Tadel, klang dabei aber ein bisschen nervös.
»Was ist los, Elsie? Magst du mich nicht?«
»Ich glaube, du bist sehr nett.« Abschätzend betrachtete sie mich im Halbdunkel des Wagens. »Du siehst sogar sehr gut aus.«
»Das hier stört dich nicht?« Ich legte die Hand auf meine linke Wange.
»Nein. Überhaupt nicht. Die Narben sind nicht schlimm, und du siehst damit verwegen aus. Wo hast du sie her?«
»Ich habe die andere Wange hingehalten. Nur war es leider eine deutsche Granate. Die Narben sind aber von dem Feldarzt, der mich zusammengeflickt hat.«
Elsie runzelte die Stirn und fuhr das kleine Netz aus dünnen weißen Narben mit den Fingerspitzen nach. Ich rückte wieder näher zu ihr, und sie rückte von mir ab. »Ich muss jetzt nach Hause ...«
Wir stiegen aus, und ich brachte sie zum Schwesternwohnheim.
»Ich habe herausgefunden, was du wissen wolltest«, sagte sie unterwegs. »Ich habe mit einer Freundin gesprochen, die in Hairmyres arbeitet. Sie sind dort auf TBC spezialisiert.«
»Was hast du denn herausgefunden?«
»Wilma Marshall wurde von der Polizei nach Hairmyres gebracht. Sie mussten dort einen künstlichen Pneumothorax hervorrufen. Dann haben sie Wilma mit dem neuen TBC-Medikament behandelt, Streptomyzin. Aber sie hat schlecht darauf reagiert, deshalb verabreichten sie ihr Nikotin, um die Nebenwirkungen zu unterdrücken. Sie war zwei Wochen in Hairmyres, dann wurde sie ins Sanatorium in Perthshire verlegt. Mehr konnte ich nicht herausfinden. Meine Freundin hat mir das alles sehr ungern erzählt. Ist Wilma wirklich deine Cousine?« Ein Hauch von Misstrauen lag auf Elsies hübschem, herzförmigem Gesicht.
Ich nickte. »Meine Tante macht sich große Sorgen um sie.«
Wir waren jetzt nicht mehr weit vom Schwesternwohnheim entfernt. Ich zog Elsie sanft aus dem vom Nebel umhüllten Lichtteich der Straßenlaterne in eine Gasse. Wir küssten uns. Als ich ihr den Rock hochzog, protestierte sie, aber nicht entschieden genug. Danach – kaum dass wir wieder auf der Straße waren – weinte sie ein bisschen, und ich musste sie trösten. Sie nahm mir das Versprechen ab, dass wir uns wiedersehen würden, und ich versprach, dass ich am nächsten Wochenende wieder mit ihr ausgehen würde. Von wegen Versprechen. Es war eine Lüge, und wir wussten es beide.
Als ich zurück zu meinem Auto ging, warnte mich eine plötzliche Enge in der Brust, dass der Nebel sich zu erstickendem Smog verdichten würde. Ich orientierte mich an dem erhöhten Bordstein am Straßenrand und konnte nur wenig schneller als im Schritttempo auf der Great Western Road zurückfahren. Fiona White war noch auf, als ich eintraf, und kam an die Tür.
»War es ein angenehmer Abend, Mr. Lennox?« In der Luft lag ein Hauch von Sherry, als sie sprach. Mehr Samstagabendvergnügen war in der Glasgower Mittelschicht für eine Kriegerwitwe nicht vorgesehen.
»Er war schön, Mrs. White. Und bei
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