Lennox 01 - Lennox
hereinkommen?«
Andrews schaute einen Augenblick unentschlossen drein; dann trat er zur Seite. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich den Weg in den modern eingerichteten Salon bereits kannte. Andrews blieb stehen. Er bot mir keinen Platz an. Ich reichte ihm den Umschlag mit den Standfotos. Nachdem ich diesen Augenblick so lange geplant hatte, wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich ließ ihn sich die Fotos anschauen. Als er halb durch war, setzte er sich nicht, er sackte vielmehr aus dem Stand auf das niedrige Sofa und schaute sich die restlichen Bilder an. Als er fertig war, blickte er zu mir hoch. In seinen Augen schimmerte Schmerz. Viel Schmerz, aber kein Erstaunen. Auch keine Enttäuschung.
»Sind Sie jetzt zufrieden, Mr. Lennox?«, fragte er mit dumpfem, unverhohlenem Hass. »Sind Sie froh, dass ich jetzt vor Ihnen gedemütigt bin?«
»Nein, Mr. Andrews. Es bereitet mir überhaupt kein Vergnügen. Ich hätte alles so lassen können, wie es war ...«
»Warum haben Sie es dann nicht getan?« Seine Augen glänzten hell. »Warum haben Sie die Dinge nicht ruhen lassen, wie ich Sie gebeten hatte?«
»Weil ich dachte, Sie stecken in Schwierigkeiten. Und das glaube ich immer noch, jetzt sogar noch mehr. Ich kann mir vorstellen, dass diese Bilder Sie schockieren, aber ich sehe auch, dass Sie nicht überrascht sind. Sind Sie in Schwierigkeiten, Mr. Andrews? Werden Sie erpresst?«
Er lachte bitter auf. »Ich habe meine Frau geliebt. Ich liebe sie noch immer. Lillian ist schön ... wunderschön. Damals konnte ich nicht glauben, dass ich so viel Glück haben sollte. Meine erste Frau war gestorben, wissen Sie.«
»Das tut mir leid. Also hielten Sie es selbst damals für zu gut, um wahr zu sein?«
Wieder lachte er bitter auf. »Vielen Dank, Lennox. Vielen Dank, dass Sie mir unter die Nase reiben, wie offensichtlich es hätte sein müssen.«
»Hören Sie, ich weiß, dass Sie Schwierigkeiten haben. Ich möchte Ihnen helfen, wenn ich kann.«
»Ich verstehe. Sie akquirieren einen weiteren Auftrag ...«
»Mir geht es nicht um Geld. Sie haben mir schon mehr als genug bezahlt. Ich möchte Ihnen nur helfen.«
»Dann lassen Sie mich in Ruhe. Verziehen Sie sich, und lassen Sie mich in Ruhe. Ja, ich stecke in Schwierigkeiten. Ich habe eine Goldgräberin geheiratet, eine Schlampe, und sie wird mich ausnehmen, bis ich mit leeren Taschen dastehe. Das sind die Schwierigkeiten, in denen ich stecke. Und glauben Sie mir, das reicht. Oder genügt Ihnen das nicht, Mr. Lennox?«
Ich nahm meinen Hut. »Wenn Sie es sagen. Trotzdem glaube ich, dass mehr dahintersteckt. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, rufen Sie mich im Büro an, oder unter dieser Nummer.« Ich schrieb ihm meine Privatnummer auf. »Noch etwas, Mr. Andrews. Es scheint Ihnen nicht bekannt zu sein, aber Lillian hat sich früher Sally genannt. Sally Blane. Ich finde, das sollten Sie wissen. Wenn Sally Blane ihr rechtsgültiger Name ist, und wenn sie Sie unter falscher Identität geheiratet hat, ist die Ehe ungültig. Sie könnten aussteigen.«
Er starrte mich weiterhin mit dumpfem Hass an, nahm den Zettel mit der Telefonnummer aber trotzdem.
Ich legte im Horsehead einen Stopp ein, um zwei Glas Whisky zu trinken. Ich brauchte die Drinks. Nicht, dass ich Andrews gemocht hätte. Mir gefiel weder sein fleischiges, hässliches Gesicht noch sein affektiertes Gehabe, und auch nicht die Art, wie er redete. Dennoch empfand ich Mitleid für einen anderen Menschen, der in der Klemme steckte. Und wieder überraschte ich mich damit selbst, denn ich hatte geglaubt, diese Fähigkeit wäre zusammen mit dem Jungen vom Kennebecasis im Krieg gestorben.
Aus zwei Whisky wurden drei oder vier, und ich dachte wieder an die kleine Krankenschwester. Und dann an Fiona White, meine Hauswirtin. An ihre Katherine-Hepburn-Augen. Daran, sie zu küssen, um die Lippen zu lösen, die immer so fest zusammengepresst waren. Daran, wie einfach es wäre, wenn ein Bündel beschädigter Ware sich mit dem anderen vermengte.
Wie beschissen alles und jeder war.
Big Bob fragte mich, ob ich noch einen Drink wollte, aber ich sagte nein. Ich geriet in diese hässliche, gereizte Stimmung, in der man zu Gewalttätigkeiten neigt, wenn man nur noch einen Schluck zu viel trinkt und jemanden verdreschen will, egal wen, nur damit ein anderer sich schlechter fühlt als man selbst. In meinen Adern strömte mehr schottisches Blut, als ich zugeben wollte.
Ich trat hinaus in die kalte,
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