Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
Vom Netzwerk:
Ihnen?«
    Ihr verzerrtes Lächeln war beinahe schon ein höhnisches Grinsen. Sie griff in den Wohnungsflur und reichte mir ein Kuvert. »Ein Gentleman hat das heute Nachmittag für Sie abgegeben.«
    »Hat er eine Nachricht hinterlassen?«
    »Nein. Gute Nacht, Mr. Lennox.«
     
    Ich warf den Umschlag ungeöffnet auf mein Bett, nahm den Schlips ab und hängte das Jackett auf. Dann schaltete ich das Radio ein, zündete mir eine Zigarette an und schaute durch das Fenster auf die Straße. Der Smog nahm die Stadt noch erbarmungsloser in den Würgegriff. Ich dachte an Elsies kleines, tränenüberströmtes Gesicht. Früher hätte ich eine Frau nicht auf diese Weise benutzen können. Früher hätte ich einen wie mich für den letzten Dreckskerl gehalten. Früher hätte ich Vieles von dem nicht getan, was ich heute tat.
    Ich hatte das Radio stets auf BBC World Service eingestellt, den Sender, der eigens dafür geschaffen worden war, Kanadier wie mich – und auch Australier und Neuseeländer – davon zu überzeugen, dass es eine furchtbar gute Idee sei, Teil des britischen Weltreichs zu bleiben. Dem World Service zu lauschen war mir zur lieben Gewohnheit geworden. Vielleicht lag es daran, dass er mir ironischerweise das Gefühl gab, ich sei wieder in New Brunswick. Ich hörte Nachrichten. Malenkow wurde Stalins Nachfolger als sowjetischer Ministerpräsident. Zwei Angehörige der kenianischen Bürgerwehr waren bei einem Überfall von Mau-Mau-Guerillas getötet worden. Die Verhandlungen in Kaesong steckten immer noch in der Sackgasse. Neue Zusammenstöße zwischen Arabern und Israelis. Hunt und Hillary hatten ihr Basiscamp am Fuße des Mount Everest aufgeschlagen. Die Vorbereitungen für die Krönung im Juni gingen weiter.
    Ich öffnete den Umschlag, den Fiona White mir gegeben hatte. Darin hieß es lapidar: Einen Blick wert. Außerdem fand ich einen Sicherheitsschlüssel der Marke Chubb mit einem Anhänger, auf dem eine Adresse in Milngavie stand. Ich drehte den Umschlag um und schüttelte ihn: Bis auf den Schlüssel war er leer. Nichts deutete darauf hin, wer ihn verschickt hatte. Ich vermutete, dass er von Willie Sneddon kam, doch er hatte ihn bei unserem letzten Telefongespräch nicht erwähnt. Vielleicht kam er von jemandem, der nicht wollte, dass eine Spur zu ihm führte, falls die Jungs in Blau mich wieder besuchten und den Schlüssel fanden. Ich beschloss, Sneddon anzurufen und ihn zu fragen, um was es dabei ging. In der Zwischenzeit musste ich noch eine andere Adresse herausfinden.
     
    Am nächsten Tag ging ich mit der Adressenliste, die ich durch meine Anrufe bei Anwälten und Immobilienmaklern zusammengestellt hatte, zur Byres Road. Eines der Häuser stand an der Byres Road selbst, die anderen an Straßen, die von ihr abzweigten. Sämtliche Objekte gehörten zu Batterien viktorianischer Reihenhäuser, die dicht an dicht standen und deren Fassaden sich nahe an der Straße befanden, von der sie nur ein Gartenstreifen trennte, der allenfalls Alibifunktion hatte. Alle waren aus roten, von Ruß geschwärzten Sandsteinziegeln. Einige Häuser hatte man in Wohnungen unterteilt, die anderen waren noch im Originalzustand. Gleich um die Ecke befand sich die Universität, und in vielen Wohnungen und Häusern wohnten Akademiker mit mittleren Einkommen.
    Zuerst schaute ich mir jedes Haus von außen an. Keines sah aus wie ein ehemaliges Bordell. Ich hatte meine Geschichte parat, zögerte aber noch, von Tür zu Tür zu gehen und anzuklopfen. Auf der Albion Street , ungefähr dreihundert Meter von der Kreuzung mit der Byres Road entfernt, stand ein Haus, das ebenso gut das Richtige sein konnte, wie alle anderen auch. Neben dem Haus verlief eine schmale Straße, die steil von der Albion Street fortstrebte. Auf dieser Straße gelangte ich hinter das fragliche Gebäude, wobei ich so unauffällig auszusehen versuchte wie ein Spaziergänger an einem stillen Sonntagnachmittag. Die Rückseite des Hauses wurde von einem schmiedeeisernen Zaun beschützt, doch ich konnte sehen, dass der neue Bewohner sich darangemacht hatte, den Garten wiederherzurichten, den der vorherige Besitzer hatte verwildern lassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bordellbetreiber besonders viel Zeit zwischen den Rosensträuchern verbrachten.
    Der affektierte Akzent des Glasgower Stadtteils Kelvinside war ein bemerkenswertes Beispiel für Stimmausbildung. Die gesellschaftlich prätentiösen Kelvinsider konnten die Vokale des Standardenglisch nicht artikulieren

Weitere Kostenlose Bücher