Lennox 01 - Lennox
es in Edinburgh keine U-Bahn, und nachdem ich Jeffrey seiner schäbigen Toilettenbeschäftigung überlassen hatte, ging ich die Royal Mile entlang.
Der Märzhimmel war hell, wie oft in Edinburgh, aber kalt und freudlos, wie genauso oft in Edinburgh, und die Burg wurde vom festen Griff der Stadt in die sterile Bläue gequetscht. Vereinfacht gesagt, wird Edinburgh von den Princes Street Gardens und dem Bahnhof Waverley in die mittelalterliche Altstadt und die georgianische Neustadt geteilt. Ich ging The Mound hinunter zur Princes Street und zur Neustadt dahinter, gab meinen ursprünglichen Plan, den ganzen Weg zu Fuß zurückzugehen, dann aber auf und winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran. Der ansonsten mürrische Fahrer grinste höhnisch, als ich ihm die Adresse in St. Bernard’s Crescent gab, zu der ich wollte.
Edinburgh ist eine Stadt selbstgerechter Sprödigkeit und war für mich als Außenstehenden immer das Gegengewicht zu Glasgow. Glasgow mochte ein schwarzes Herz haben, aber es war wenigstens ein warmes schwarzes Herz. Edinburgh war ganz presbyterianische Prüderie und unbegründeter Snobismus – oder, wie die Glasgower gerne sagen, oben Pelzmantel, aber unten keine Schlüpfer. Das war eine Beschreibung, wie sie für die Adresse, die ich aufsuchen wollte, zutreffender nicht hätte sein können. Obwohl Glasgow in dem Ruf stand, von schweren Trinkern, harten Männern und noch härteren Frauen bevölkert zu sein, war Edinburgh die schottische Hauptstadt für Sexualdelikte, Pornografie und Prostitution. Hinter den peinlich sauberen Tüllgardinen ging es oft ganz schön schmutzig zu.
St. Bernard’s Crescent lag im Herzen des Edinburgher Stadtteils Stockbridge: ein Bogen aus georgianischen Sandsteinreihenhäusern vor einem kleinen Park voller Bäume. Die meisten Gebäude erhoben sich drei Stockwerke über das Straßenniveau und hatten ein Kellergeschoss mit Fenstern, die zu schmiedeeisernen Zäunen hinaufblickten. Diese Anordnung war besonders wichtig für das Haus, das ich aufsuchte: Man sagte, je höher das Stockwerk, in das man ging, desto teurer wurde es für einen.
Edinburgher Taxifahrer sind bekannt dafür, die Lebensfreude deprimierter Totengräber zu besitzen, und dieses Exemplar war während der gesamten Fahrt so stumm wie eine Leiche. Allerdings gelang es ihm, sein Grinsen zu wiederholen, als er vor der Adresse auf der St. Bernard’s Street anhielt und mir sagte, was ich ihm schuldete. Normalerweise gab ich Taxifahrern ein gutes Trinkgeld, besonders in London oder Glasgow, wo es leicht geschehen konnte, dass man im Fond eines Taxis das beste Gespräch des Tages führte. Diesmal aber zählte ich den Fahrpreis genau ab und gab nicht einen Penny mehr. Mein betonter Geiz ging ins Leere, denn der Fahrer schien ihn weder zu bemerken, noch schien er sich daran zu stoßen. Immerhin waren wir in Edinburgh.
Das Haus sah aus wie alle anderen in der Gegend; die Farbe an Tür und Fenster wirkte frischer, die Treppe besser gefegt als bei den Nachbarn, und die junge Dame, die mich einließ, war nüchtern in ein blaues Sergejäckchen, einen Bleistiftrock und eine weiße Bluse gekleidet. Sie fragte mich, ob ich einen Termin habe, und ich entgegnete, ich sei nicht geschäftlich hier, sondern ein Freund von Mrs. Gersons. Lächelnd führte sie mich in einen kleinen, büroartigen Raum abseits der Empfangshalle. Als ich die Halle durchquerte, bemerkte ich, in welch geschmackvolles und teures Dekor Helena investiert hatte. Überrascht war ich nicht; Helena Gersons war eine weltgewandte, elegante Dame. Oh ja, in Edinburgh gibt es Puffs mit Klasse, dachte ich bei mir, als ich das, was ich hier sah, mit Arthur Parks’ schäbigem Etablissement in Glasgow verglich.
Ich war ein zynisches Schwein, ich gebe es zu. Was ich gesehen und getan hatte, hatte mich in einen Menschen verwandelt, den ich kein bisschen mochte, und das überspielte ich oft, indem ich den Tag mit einem hämischen Grinsen oder einem Witz auf Kosten eines anderen begann. Vielleicht hatte ich mich auch nur angepasst. In Amerika und Kanada begrüßten wir den Tag mit: »Neuer Tag, neuer Dollar.« In Glasgow lautete das Motto: »Neuer Tag, alter Scheiß.« Was um mich herum auch vorging, ich war normalerweise zu zynisch, um mich darum zu scheren.
Doch als Helena Gersons ins Büro kam, war mir, als würde mich ein Fausthieb in den Magen treffen. Was ganz passend war, weil der Magen zwischen Herz und Weichteilen liegt. Helena Gersons war die vielleicht schönste
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