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Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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war es jetzt elf Uhr morgens. Ich habe nie begriffen, warum ich das tat, aber wenn ich unter Druck stand, rechnete ich immer aus, wie spät es zu Hause war. Im Krieg hatte ich mich oft gefragt, was meine Eltern gerade taten und welches Licht in New Brunswick in den Garten fiel, während ich in Europa zuschaute, wie Männer verreckten.
    Ich schloss die Schreibtischschublade auf – ich hatte mir das Abschließen angewöhnt, seit mein Büro so meisterhaft durchsucht worden war – und nahm das Notizbuch und das Foto heraus, die ich in McGaherns Haus gefunden hatte. Erneut schaute ich mir die Liste von Buchstaben und Zahlen in dem Notizbuch an. Mir fiel auf, dass die meisten Zahlen mit 51 oder 52 endeten. 1952? Könnten es Frachtnummern mit Datum sein? Doch jetzt, wo McGahern tot war, würde ich die Akten von CCI nicht mehr einsehen dürfen.
    Ich schaute mir das Foto noch einmal an. Fünf Männer waren darauf zu sehen. Wieder erschien es mir, als wären zwei, vielleicht drei von ihnen Ausländer, zu dunkelhäutig, um Schotten zu sein. Schotten sind die weißhäutigsten Menschen auf diesem Planeten; manchmal erscheinen sie beinahe blauweiß. Die einzige Bräune, die man in Glasgow je sah, fand sich an derben Straßenschuhen. Andererseits sah auch Tam auf dem Foto sonnengebräunt aus. Das letzte sonnengebräunte Gesicht, dem ich in letzter Zeit begegnet war, hatte dem fröhlichen Doppelgänger Fred MacMurrays gehört.
    Ich nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer in Edinburgh. Es wurde Zeit, ein paar Gefallen einzufordern.

19
     
    Glasgow mag die zweite Stadt des Empire sein, aber Edinburgh ist Schottlands Hauptstadt. Dass die Edinburgher ihre Stadt das »Athen des Nordens« nennen, liegt vermutlich daran, dass es noch keinen Edinburgher je nach Athen verschlagen hat. Während man Glasgow als schwarz bezeichnen kann, ist Edinburgh grau. Graue Häuser, graue Menschen. Außerdem ist es die am stärksten anglisierte Stadt in Schottland, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass seine Einwohner alle anglophob sind: Am meisten hasst man, was man selbst gern sein möchte, aber nicht ist.
    Als der Zug in den Bahnhof Waverley einfuhr, begrüßte mich ein Banner mit den Worten Ceud Mille Failte , was Gälisch war und »hunderttausend Mal willkommen« bedeutet, wie man mir sagte. Da ich den Charakter von Edinburgh ein wenig kennengelernt hatte, hätte ich eher vermutet, dass es »Verpiss dich, du englischer Hurensohn« hieß.
    Doch Edinburghs Zorn richtete sich nicht nur gegen die Engländer. Die Rivalität zwischen den beiden größten Städten Schottlands war erbittert, wobei man besonders um die kulturellen Unterschiede zwischen Glasgow und Edinburgh viel Aufhebens machte. In Glasgow nannte man Kinder weans , in Edinburgh bairns ; in Edinburgh aß man Fisch und Chips mit Salz und Sauce, in Glasgow mit Salz und Essig; Glasgower beendeten ihre Sätze unerklärlicherweise mit der Konjunktion »aber«, in Edinburgh mit dem fragenden »eh?«.
    Manchmal wurde mir schwindlig vom kulturellen Kaleidoskop Schottlands.
    Ich nahm ein Taxi nach Edinburgh Castle und wurde an der Esplanade abgesetzt. Der übereifrige kleine wachhabende Corporal wollte mich nicht in die Kaserne lassen, bis ich ihm klarmachte, dass ich Captain Lennox sei und mich hier mit Captain Jeffrey treffen wolle. Er verwies mich an die Kommandantur. Als ich dort eintraf, erwartete mich Rufus »Mafeking« Jeffrey vor dem Eingang, ohne Mütze und in Zivilkleidung. »Mafeking« war der Spitzname, den ich ihm vor Jahren verpasst hatte und den er nicht leiden konnte, auch wenn ihm unerklärlich war, weshalb ich ihn so nannte. Jeffrey war groß und schlaksig, und sein blondes Kraushaar wich bereits aus der Stirn zurück. Ich sah ihm an, dass er sich nicht besonders freute, mich zu sehen, und um ehrlich zu sein, ich war auch nicht begeistert, mich wieder in militärischer Umgebung zu befinden, und sei es nur im Praliné-Soldaten-Ambiente von Edinburgh Castle.
    »Ich dachte, wir genehmigen uns einen im Royal Mile, wenn es Ihnen recht ist, alter Junge.« Jeffreys Lächeln war so aufrichtig wie sein nachgemachter englischer Oberschichtenakzent, den er sich in einem Edinburgher Internat angeeignet hatte.
    Ein Sergeant der Militärpolizei trug seine rote Schirmmütze an uns vorbei in die Kommandantur. Er weckte in mir einige unliebsame Erinnerungen. »Sicher«, sagte ich, und wir gingen wieder die Esplanade hinunter.
     
    Wir saßen in einer Ecke des Lokals. Das trübe

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