Lennox 02 - Lennox Rückkehr
dass mir kein Grund eingefallen war, um zwei Eintrittskarten zu bitten.
»Gut. Dann können Sie sich jetzt verpissen«, sagte Sneddon. Ich fragte mich, ob die jüngst gekrönte Queen eine ähnliche Hofetikette pflegte. »Und vergessen Sie nicht, sich nach Small Changes Terminbuch umzusehen. Ich lass Sie von Singer zurück zu Ihrem Auto fahren. Sie kennen Singer, oder?« Sneddon machte eine Geste zu dem Teddy Boy, der mich und Twinkletoes zum Bauernhof chauffiert hatte.
»Na klar. Der hat mir auf dem Weg hierher die Ohren vollgequasselt. Ich bin kaum zu Wort gekommen.«
Sneddon bedachte mich mit einem neuerlichen höhnischen Grinsen. Singer schien meine Bemerkung nicht besonders zu gefallen. Vielleicht wurde ich paranoid, aber ich glaubte, in seinem lauernden Starren eine noch größere Bedrohlichkeit zu entdecken.
»Aye«, sagte Sneddon. »Singer ist nicht gerade der große Redner. Und auch kein großer Sänger, wo wir schon mal dabei sind, was, Singer?«
Singer schüttelte den Kopf, ohne den starrenden Blick von mir zu nehmen.
»Man könnte sagen, Singer ist ein Mann der Tat, kein Mann der großen Worte.« Sneddon hielt inne und nahm eine Zigarette aus einem goldenen Etui. Das Ding war so schwer, dass es ihm das Handgelenk auszurenken drohte. Mir bot er keine Kippe an. »Singers Alter war ein echter Drecksack. Hat ihn immer nach Strich und Faden verprügelt, als Singer noch ein kleiner Hosenscheißer war. Auch die Mutter bekam ständig Senge. Mehr als normal ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber Singer hatte sein Talent. Das hatte er von seiner Ma. Er besaß eine wunderschöne kleine Stimme. Jedenfalls erzählt man sich das. Hab sie selber nie gehört. Jedenfalls, bei Hochzeiten und so wurden Singer und seine Ma immer gebeten, ein Lied zu singen. Und er hat sich ja auch nie lange bitten lassen, was, Singer? Er sang die ganze Zeit. Das Einzige, was der kleine Scheißer im Leben hatte.«
Ich schaute Singer an, der meinen Blick ausdruckslos erwiderte. Offenbar war er es gewöhnt, dass Sneddon seine persönliche Geschichte vor Wildfremden ausbreitete. Oder es war ihm egal.
»Aber seinen Alten hat es unheimlich aufgeregt. Wenn der besoffen nach Hause kam, durfte keiner einen Laut von sich geben. Der kleinste Mucks von Singer, und sein Alter trat ihm die Scheiße aus dem Leib. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Eines Tages kommt Singers Alter mit besonders finsterer Laune nach Hause. Der kleine Singer trällert ganz unschuldig mit seiner Ma in der Küche, aber sein Alter versteift sich drauf, dass für ihn Essen auf dem Tisch stehen sollte. Er dreht total durch. Er packt Singer und prügelt ihn wie nie zuvor. Also kommt seine Ma und versucht den kleinen Kerl zu beschützen. Und wissen Sie, was sein Alter tut?«
Ich zuckte mit den Schultern und sah Singer an: Ich war gut zehn Zentimeter größer als er, aber er war ein hart aussehender Hurensohn. Ein fies aussehender Mistkerl. Trotzdem hörte ich nicht gerne zu, wie Sneddon sich in Singers Elend suhlte.
»Er hat Singers Ma die Kehle durchschnitten«, beantwortete Sneddon seine Frage selbst. In seiner Stimme lag ein Anflug von Ehrfurcht. »Er nahm ein Taschenmesser – ein Taschenmesser, überlegen Sie mal! – und schlitzte ihr die Kehle von einem Ohr zum anderen auf, vor den Augen von dem kleinen Kerl. Seitdem hat Singer nie mehr gesungen. Oder gesprochen.«
»Das tut mir leid«, sagte ich zu Singer, weil es das Einzige war, was mir einfiel. Er sah mich ausdruckslos an.
»Aye. Singers Vater war eine üble Drecksau. Sie haben das Schwein an der Duke Street aufgeknüpft. Singer kam in ein Waisenhaus, dann in eine Art Irrenanstalt, weil er nicht redete.« Sneddon blickte Singer wissend an. »Aber du bist kein Irrer, was, Singer? Nur ein übler Hund, bis ins Mark. Ich hab von ihm gehört, weil Tam, einer meiner Jungs, mit Singer im Knast war. Sie saßen in der gleichen Zelle. Soll ich ihm sagen, was deine Spezialität war, Singer?«
Es überraschte mich wenig, dass Singer nicht antwortete. Er nickte auch nicht. Er rührte sich nicht, er blinzelte nicht.
»Jemand hat ihn wegen einem Bruch verpfiffen. Ohne diesen Jemand hätte es keine Beweise gegeben. Aber Singer hat den Kerl nicht umgebracht. Er hat ihm die Zunge rausgeschnitten. Richtig poetisch, was?«
»Ja«, sagte ich. Singers Gesicht war noch immer völlig ungerührt. »Wie ein Gedicht von Auden.«
»Egal«, sagte Sneddon, »ich hab Singer gern um mich. Wussten Sie, dass die alten Griechen gern
Weitere Kostenlose Bücher