Lennox 02 - Lennox Rückkehr
kennenlernte. Fiona White war eine attraktive, noch immer junge Frau, aber ich kann mich nicht erinnern, sie jemals lächeln gesehen zu haben.
Ich ging hinauf in meine Wohnung und hörte mir ein Weilchen den Overseas Service an; dann schaltete ich auf Lokalradio um. Ein Beitrag beschäftigte sich mit dem bevorstehenden Kampf zwischen Bobby Kirkcaldy und Jan Schmidtke. In der Sportgeschichte Glasgows war kaum einem Kampf so sehr entgegengefiebert worden, obwohl das Ergebnis schon festzustehen schien: Der deutsche Puncher Schmidtke galt dem Techniker Kirkcaldy von vornherein als unterlegen.
Ich grinste zufrieden, dass ich mir doch noch eine Eintrittskarte zu dem Kampf hatte verschaffen können. Das Grinsen verblasste allerdings, als meine Gedanken zu Willie Sneddon und Jonny Cohen schweiften, die immer höher hinauswollten. Mit einem Anteil an dem Boxer Bobby Kirkcaldy dehnten sie ihren Einfluss über Glasgows Grenzen hinweg aus. Allmählich wurde mir unwohl bei dem Gedanken, in die Schiebungen und trüben Geschäfte hineingezogen zu werden, die sich hinter den Kulissen eines Sportereignisses von nationaler Bedeutung abspielten.
Andererseits waren trübe Geschäfte genau meine Branche.
***
In diesem Sommer versuchte ich mich und mein verkorkstes Leben in den Griff zu bekommen. Ich konnte mir denken, wie die meisten Leute so über mich redeten: Guck mal, da ist Lennox. Ist ganz okay, der Bursche, aber völlig verkorkst. Deshalb hatte ich mich in den vergangenen zwölf Monaten angestrengt, mein Leben sozusagen zu entkorksen. Ich verfolgte ein ehrgeiziges Ziel: Ich wollte eines Morgens beim Rasieren in den Spiegel blicken können, ohne den Kerl zu verabscheuen, der mir entgegenschaute.
Die Wahrheit ist, dass ich ein gescheiter und begeisterungsfähiger kanadischer Durchschnittsjunge gewesen war, der am Ufer des Kennebecasis aufgewachsen war, mit reichen Eltern, die ihn auf das elitäre Rothesay Collegiate College geschickt hatten. Daran war überhaupt nichts verkorkst. Dann aber beschloss ein kleiner böhmischer Gefreiter, nicht nur meine Welt völlig umzukrempeln, und ich fand mich als Offizier in der 1. Kanadischen Armee wieder, viertausend Meilen von zu Hause und bis zu den Knien in Schlamm und Blut. Die 1. Kanadische – oder wenigstens die Führung der 1. Kanadischen – war Feuer und Flamme, wenn es darum ging, meine Landsleute durch den Fleischwolf zu drehen. Dieppe, Sizilien, Normandie – wo immer eine Party stattfand, bei der moderne Waffentechnik menschliches Fleisch in Fetzen riss, standen wir auf der Gästeliste meistens ganz oben. Mein kleiner Ausflug begann auf Sizilien und ging durch Italien und Holland nach Deutschland. Irgendwann auf meiner großen Europareise begab es sich, dass auch der Junge vom Kennebecasis zum Kriegsopfer wurde.
Der Mann, zu dem ich im Krieg geworden war, passte jedoch genau hierher. Hierher nach Glasgow, wo ich zum ersten Mal den Drei Königen begegnet war, eine Schiffskarte nach Neuschottland in der Hand und in dem schäbigen Anzug, den man mir bei der Entlassung gegeben hatte und in dem ich mich sogar als Leiche geschämt hätte.
Der Irrglaube, alle Gangster wären gleich, ist weit verbreitet. Oder dass alle Bullen gleich wären. Einige Leute glauben sogar – manchmal nicht ganz ohne Grund –, dass alle Gangster und Bullen gleich wären. In Wirklichkeit bildet die Unterwelt eine Gesellschaft wie jede andere mit der gleichen Bandbreite und Vielfalt an Persönlichkeiten und Charakteren, wie man sie in sämtlichen anderen Lebensbereichen auch findet. Man kann nicht einmal sagen, die Unterwelt sei in Unredlichkeit oder Unmoral vereint. Einige Schurken folgen einem sehr strengen Ehrenkodex, andere nicht.
Die Drei Könige waren ein gutes Beispiel. Wenn in Glasgow etwas geschah, ohne dass Willie Sneddon, Jonny Cohen oder Hammer Murphy dahintersteckte, lohnte es sich nicht, dahinterzustecken. 1948 hatten sich die drei führenden Gangsterbosse von Glasgow auf zivilisierte Weise in der eleganten Regency Oyster Bar zum Mittagessen zusammengesetzt und die Zukunft besprochen. Als sie schließlich die Rechnung gleichmäßig unter sich aufteilten, hatten sie mit Glasgow das Gleiche getan.
Doch was diesem Mittagessen vorausgegangen war, hatte nichts Elegantes oder Zivilisiertes an sich gehabt. Ein erbitterter Bandenkrieg mit Sneddon und Cohen auf der einen und Murphy auf der anderen Seite hatte sie allesamt an den Rand der gegenseitigen Vernichtung gebracht. Und das erste Opfer des
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