Lennox 02 - Lennox Rückkehr
mir keine Sekunde lang der Gedanke kam, es könnte sich um einen diskreteren, unauffälligeren Entführungsversuch seitens Jimmy Costellos handeln; andererseits waren Diskretion und Unauffälligkeit keine Eigenschaften, die man ohne Weiteres mit Costello in Verbindung brachte.
Ich hielt neben ihm und kurbelte das Seitenfenster herunter. »Schwierigkeiten?«, fragte ich.
Er lächelte. »Danke, dass Sie angehalten haben.« Er öffnete meine Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz sinken, ehe ich etwas einwenden konnte. In diesem Augenblick bemerkte ich die kleine halbmondförmige Narbe an seinem Kopf. Blitzschnell ging ich die Liste in meinem Kopf durch und versuchte festzustellen, wo ich einen eins fünfundsiebzig großen Mann mit dunklem Haar und einer halbmondförmigen Narbe auf der Stirn abgelegt hatte, als er auch schon einen Revolver aus der Hosentasche zog. Ich erkannte die Waffe als einen Webley Pocket Hammerless Kaliber .32, ein Modell mit verdecktem Schlaghammer, das nach 1916 nicht mehr gebaut worden ist. Es hätte sogar von kurz nach der Jahrhundertwende stammen können.
»Das soll ein Scherz sein, oder?«, fragte ich mit Blick auf den Revolver, wobei ich verächtlich eine Augenbraue hob. Gleichzeitig wog ich meine Chance ab, ihn mit dem flachen Schlagstock in meiner Innentasche außer Gefecht zu setzen. Wenn jemand eine Waffe auf mich richtet, macht mich das reizbar. Ich sagte mir, dass es am besten sei, meinem neuen Freund zunächst mal seinen Willen zu lassen. Die Zeit kam schon noch, ihm zu erklären, was ich davon hielt, mit einer Schusswaffe bedroht zu werden.
»Mit der Knarre ist alles in Ordnung, Kumpel.«
»Mit meinem zweiundachtzigjährigen Onkel Frank ist auch alles in Ordnung, aber ich würde ihn trotzdem nicht zu einer Entführung mitnehmen.«
»Vertrauen Sie mir, Lennox. Dieser Webley schießt wunderbar.«
»Das tat er bestimmt, als Mata Hari sich damit den Kaiser vom Leib gehalten hat, während er sie um den Banketttisch jagte. Wohin wollen Sie mich bringen? Auf eine Antiquitätenauktion?«
Der dunkelhaarige Gorilla seufzte. »Hören Sie, Lennox, reizen Sie mich nicht. Mr. Costello will Sie sprechen, und als Sie das letzte Mal eine Einladung bekamen, haben Sie ziemlich schroff abgelehnt.« Er drückte sich besser aus als der durchschnittliche Glasgower. Er blieb auch ganz ruhig. Mein Versuch, ihn zu ärgern und hinzuhalten, bis noch ein Auto vorbeikam, lief ins Leere. Ich sah, dass hinter ihm ein zweiter Gorilla aus seinem Versteck kam und die Motorhaube des Zephyrs zuklappte.
»Was hat Ihr Kumpel denn dabei? Eine Steinschlossbüchse?« Ich sprach den Scherz mit einem Lächeln aus, um zu verbergen, dass ich gerade ernsthaft meine Chancen abwog, ihm den Hals zu brechen, ehe er abdrücken konnte.
»Er wird uns folgen. Sie fahren zum Lokal raus und treffen sich dort mit Mr. Costello. Mr. Costello hat mir gesagt, ich soll Ihnen ausrichten, ganz ruhig zu bleiben. Es besteht kein Grund für einen Aufstand. Sie haben sich aufgeregt und Tony und Joe zusammengehauen, und das war völlig unnötig. Es geht nicht um das, was Sie glauben.« Er nickte abgehackt in Richtung der Straße vor uns. »Fahren wir.«
Ich blickte auf den Revolver. Er konnte noch immer tun, wozu er da war. Eine Kugel ist eine Kugel, auch wenn es ihn wahrscheinlich ein paar Finger kostete, den Webley abzufeuern. »Sie sagen also, es geht nicht um Paul Costello?«
»Darüber müssen Sie mit Mr. Costello sprechen, aber trotzdem: nein. Oder wenigstens nicht so, wie Sie glauben.«
»Okay«, sagte ich und seufzte. »Wohin? Zum Riviera?«
»Nein.« Mein Beifahrer grinste mich an; seine fleckigen Zähne waren nikotingelb. »Wir fahren zum Empire. Nur für ein Gespräch. Nichts Großes. Also machen Sie keinen Ärger.«
»Ich?«, fragte ich in gekränktem Tonfall. »Ich bin immer auf Konsens aus.«
Mein Fahrgast dirigierte mich über den Clyde, und wir fuhren nach Govan hinein. Geschwärzte Wohnblocks ragten zu beiden Seiten auf. Er befahl mir, vor einer Kneipe zu halten, die ein Schild schmückte, das die Spelunke zur »The Empire Bar« erklärte. Die Sonne versteckte sich, in ein Leichentuch aus dünnen grauen Wolken gehüllt, hinter den Mietskasernen. An Halbdunkel dachte man allerdings ohnehin sofort, wenn man den Namen Govan hörte.
»Oh, sehen Sie nur«, sagte ich fröhlich, als wir ausstiegen. »Über dem Empire geht die Sonne unter.« Mein Begleiter zuckte zur Antwort mit dem Kopf Richtung Kneipe. Den Revolver hatte
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