Lennox 02 - Lennox Rückkehr
daran, wer man gewesen war.
Wir hatten den halben Weg nach Partick hinter uns, als May meine These bestätigte. »Ich habe jemanden kennengelernt, Lennox«, sagte sie widerstrebend. »Einen Witwer. Er ist älter als ich, aber ein guter, freundlicher Mann. Er hat zwei Kinder.«
»Kommt er aus Glasgow?«, fragte ich. Wenn sie verneinte, wusste ich, dass der Trottel eine Fahrkarte raus aus der Stadt bedeutete. May hatte in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr sie Glasgow hasste. In der Vergangenheit, in der Vorvergangenheit und im vollendeten Perfekt.
»Nein. Er hat einen Hof in Ayrshire. Wusstest du, dass mein geschiedener Mann auch Bauer war?«
»Du hattest es mal erwähnt«, sagte ich. Meist im Zustand der Trunkenheit, fügte ich im Stillen hinzu. »Bist du glücklich mit ihm?«
»Sagen wir mal so ... Ich bin nicht mehr unglücklich mit ihm. Das reicht mir. Wir brauchen einander. Ich komme gut mit seinen Kindern aus, und sie sind in einem Alter, in dem sie eine Mutter brauchen.«
Ich lächelte sie an. »Ich freue mich für dich, May. Wirklich. Ich nehme an, es gibt einen Grund, dass du mir das erzählst.«
»Ich kann nicht mehr für dich arbeiten. Heute Abend ist das letzte Mal. George weiß nicht, dass ich dir bei diesen Scheidungsfällen geholfen hat, und er darf es auf keinen Fall erfahren. Wir ziehen einen klaren Schlussstrich und lösen uns völlig von der Vergangenheit.«
»In Ayrshire?« Ich konnte meine Verwunderung nicht unterdrücken. »Ayrshire ist die Vergangenheit. Um genauer zu sein, es ist das achtzehnte Jahrhundert.«
»Nein«, sagte sie kühl. »Wir gehen nicht nach Ayrshire. Du wirst lachen, aber ...«
»Sag schon.«
»Wir gehen nach Kanada. Wir wandern aus. Dort werden Bauern gesucht.«
Ich lachte nicht. Im Gegenteil, meine Reaktion überraschte mich. Etwas Stechendes durchfuhr unangenehm meine Eingeweide, und ich begriff, dass es Neid war.
»Wohin in Kanada?«
»Saskatchewan. Bei Regina.«
Wir hielten außerhalb von Craithie Court. Ich schaltete Mel Tormé mitten im Schmachten ab. »Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.«
»Noch etwas, Lennox. Es wäre am besten, wenn du mich zu Hause nicht mehr anrufen würdest.«
Ich bedeckte ihre Hand. Sie unterdrückte den instinktiven Impuls, die Hand zurückzuziehen, aber zu langsam, als dass ich nicht gespürt hätte, wie sie sich anspannte.
»Schon gut, May. Ich verstehe. Ich hoffe wirklich, alles läuft so, wie du es dir vorstellst. Das ist unsere letzte Zusammenarbeit, okay. Ich rufe dich auch nicht mehr an.«
Sie lächelte. Es wäre nett gewesen, wenn ein wenig Traurigkeit in ihrem Lächeln gelegen hätte, aber die Vorstellung, mich nicht mehr wiederzusehen, schien sie grenzenlos aufzuheitern. Auf manche Frauen habe ich so eine Wirkung.
Ich ging noch einmal mit ihr durch, was sie Claire Skinner sagen sollte, und schärfte ihr noch einmal Sammy Pollocks Namen ein. May stieg aus und ging zu dem Wohnheim. Dass sie nicht direkt wiederkam, wertete ich als gutes Zeichen.
Nach einer halben Stunde stieg sie wieder in den Wagen. Ihr Gesicht war rot, ihre Miene finster.
»Fahr um die Ecke«, stieß sie hervor, ohne mich anzusehen. »Sie beobachtet wahrscheinlich das Auto.«
Ich tat, was May von mir verlangte. »Was ist los?«, fragte ich, als wir wieder hielten.
»Ich weiß es nicht, Lennox, aber das Mädchen ist völlig verängstigt. Sie sagt, sie würde auf keinen Fall herauskommen und mit dir reden. Sie weiß nicht, wo Sammy Pollock ist, sagt sie, und wenn sie es wüsste, würde sie es dir nicht verraten. Sie markiert nicht, Lennox, sie hat wirklich furchtbare Angst.« May runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, womit du es zu tun hast, aber sei bloß vorsichtig. Jemand hat das arme Mädchen fast zu Tode geängstigt.«
»Okay. Ich werde wohl warten müssen, bis sie im Pacific auftritt, und dann versuchen, mit ihr zu reden.«
»Dann hättest du Glück. Ich glaube, sie wird nicht vor die Tür gehen.«
»Alles in Ordnung mit dir?«
May sah mich kurz an, seufzte und lächelte. »Mir geht es gut. Das Mädchen war nur so schrecklich aufgeregt. Ich dachte schon, sie geht mir an die Kehle.«
»Tut mir leid. Ich hätte nicht gedacht ...«
»Schon gut. Ich werde damit fertig.« Plötzlich galt Mays Aufmerksamkeit irgendetwas, das sie durch die Windschutzscheibe sah.
»Guck mal«, sagte sie.
»Ist sie das?«
Ich folgte Mays Blicken zu der Kreuzung ungefähr zweihundert Meter entfernt, wo eine junge Frau Anfang
Weitere Kostenlose Bücher