Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
ihn zu finden«, entgegnete ich.
»Das meinen wir ja …«
»… würden Sie ihn für uns finden, damit wir mit ihm reden können?«
»Die kurze Antwort darauf lautet nein. Ich habe keinen Zweifel, dass ich, falls ich je Ihren Vater finden sollte, nicht lange genug leben würde, um Ihnen davon zu berichten. Und wenn ich die Begegnung mit ihm überleben sollte, müsste ich die Polizei verständigen.«
Beide öffneten sie den Mund, um zu protestieren. Ich hob die Hand.
»Hören Sie, Ladys, ich habe Sie von Anfang an gewarnt, dass ich, wenn ich herausfinden sollte, ob und wo Ihr Vater lebt, der Polizei dieses Wissen nicht vorenthalten könnte. Jetzt stürzen sich die scharfen Hunde bei der Polizei auf die Sache, und ich will mich nicht beißen lassen. Wenn sie mich fragen, wo Joe Strachan ist, kann ich im Moment mit absoluter Aufrichtigkeit sagen, dass ich es nicht weiß und dass ich auch nicht mit Sicherheit weiß, ob er noch lebt. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf – ich finde, wir sollten es dabei belassen.«
»Aber wir wollen mit ihm reden …«, protestierten sie unisono.
»Sehen wir der Tatsache ins Gesicht, Ladys – er hat ihnen achtzehn Jahre lang jedes Jahr Geld geschickt. Wenn er Kontakt mit Ihnen wünschte, hätte er ihn längst aufgenommen. Es tut mir leid, dass ich so offen spreche, aber wenn Sie mich fragen, kauft er sich mit diesem Geld von seiner Schuld frei. Ich glaube, Ihr Vater hatte von jeher vor zu verschwinden und hätte Sie und Ihre Mutter auch dann verlassen, wenn der Polizist während des Empire-Raubs nicht getötet worden wäre. Ich glaube, er lebt in einer vollkommen neuen Identität in einem anderen Teil des Landes oder der Welt: eine Identität, die er sich wahrscheinlich schon zugelegt hatte, ehe Sie geboren wurden. Der einzige Grund, weshalb er hier in Glasgow wieder auftaucht, bin ich, weil ich meine große Nase dorthin gesteckt habe, wo sie nicht erwünscht ist.«
»Und was sollen wir tun?«
»Akzeptieren Sie, dass Ihr Vater lebt, aber keinen Kontakt zu Ihnen haben kann. Nehmen Sie weiterhin das Geld und halten Sie die Füße still. Das ist mein Rat, und ich beabsichtige, ihn selbst zu befolgen. Übrigens halte ich es für möglich, dass es für Sie auch eine Frage der Sicherheit ist.«
Die Zwillinge sahen mich empört an.
»Unser Daddy …«
»… würde nie etwas tun, das uns schadet!«
»Vielleicht nicht, aber ich sehe eine große Wahrscheinlichkeit, dass er sich mit sehr gefährlichen Leuten eingelassen hat. Sie sind organisierter als jede Gangsterbande, die mir bekannt ist, und haben bessere Mittel zur Verfügung. Und sie passen aufeinander auf, wie ich am eigenen Leib erfahren musste.«
»Was für Leute?«, fragte Robert.
»Soldaten. Nein, eigentlich nicht richtige Soldaten … eher Angehörige der Guerilla-Gruppen, die vor und während des Krieges hinter den Linien operieren sollten. Sie sollten Naziinvasoren sabotieren, aber viele wurden auch ausgebildet, um gegen die Kommunisten zu kämpfen, sollte der Krieg diese Wendung nehmen.«
»Das klingt nicht nach unserem Daddy …«, sagte Isa.
»… gar nicht nach unserem Daddy …«, fuhr Violet fort.
»Er hat sich nie für Politik interessiert.«
»Aber Sie sagten, er war im Ersten Weltkrieg ein Held?«, fragte ich.
»Das war er …«
»… er hat Orden bekommen …«
»… er ging hinter die feindlichen Linien und alles.«
»Aber er wäre auch beinahe als Deserteur erschossen worden, stimmt das nicht auch?«
»Das sind Lügen …«
»… alles Lügen …«, sagte Violet.
»Hören Sie, Ladys«, sagte ich so behutsam ich konnte, »es ist leicht, sehr leicht, jemanden zur Heldenfigur zu stilisieren, der nicht da ist. Vieles von dem, was ich über Ihren Vater gehört habe, und alles, was ich erlebt habe, überzeugt mich, dass er ein vollkommen rücksichtsloser Mensch war oder ist. Ich glaube nicht, dass er jemals etwas getan hat, das nicht in seinem Interesse war. Es tut mir leid, Isa und Violet, aber ich muss den Fall niederlegen. An Ihrer Stelle würde ich die Sache ruhen lassen. Diesem geschenkten Gaul schauen Sie lieber nicht ins Maul.«
»Könnten wir mit dem Zeugen sprechen, den Sie gefunden haben?«
»Das wird schwierig«, sagte ich und verkniff mir hinzuzufügen, dass man dazu ein spirituelles Medium bräuchte. »Ich fürchte, er ist weggefahren. Für sehr lange Zeit.«
Und jetzt mein großes Finale.
»Etwas hätte ich noch …« Ich griff in die Jacketttasche und holte die Fotografie hervor.
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