Lenobias Versprechen: Eine House of Night Story (German Edition)
Tochter.«
»So ein Unsinn!«, entgegnete Lenobia. »Warum soll der Zufall der Geburt darüber entscheiden, was jemand wert ist?«
»Es liegt bei Gott, unseren Wert zu bemessen«, erklärte Schwester Marie Madeleine.
»Und nach allem, was ich weiß, seid Ihr nicht Gott, Mademoiselle«, sagte Lenobia zu der jungen de Lafayette.
Aveline schnappte nach Luft. »So spricht man nicht mit mir, du Hurentochter!«
»Meine Mutter ist keine Hure! Sie war nur zu hübsch und zu gutgläubig!«
»Rede nur. Wir wissen ja schon, dass du eine Lügnerin bist.« Aveline de Lafayette raffte ihre Röcke und machte sich auf den Weg zur Tür. »Ehrwürdige Schwester, ich werde das Zimmer nicht mit einer bâtarde teilen.«
»Genug!« Der scharfe Ton der Nonne ließ selbst die arrogante Lafayette innehalten. »Aveline, wir Ursulinen widmen uns der Erziehung junger Damen. Dabei unterscheiden wir nicht nach Stand oder Herkunft. Uns ist wichtig, alle mit Respekt und Ehrlichkeit zu behandeln. Lenobia ist ehrlich zu uns gewesen. Das werden wir honorieren.« Sie sah Lenobia an. »Du kannst mir deine Sünden zwar gestehen, aber ich kann dir nicht die Beichte abnehmen. Dazu brauchst du einen Priester.«
Lenobia erschauerte. »Nicht den Bischof, bitte.«
Die Miene der Schwester wurde weicher. »Dann bekenne deine Sünden wenigstens vor Gott, Kind. Sobald wir in Nouvelle-Orléans sind, wird Vater Pierre dir in unserem Konvent die Beichte abnehmen.« Sie blickte alle Mädchen im Zimmer an. »Ihr alle werdet bei ihm beichten, denn wir sind alle menschlich und nicht ohne Fehl.« Sie wandte sich wieder an Lenobia. »Würdest du bitte mit mir auf Deck kommen, Kind?«
Lenobia nickte stumm und folgte der Schwester nach oben. Sie stiegen die Leiter zum Achterdeck hinauf und stellten sich an die schwarze Reling neben die kunstvoll geschnitzten engelähnlichen Figuren, die das Heck der Minerva zierten. Eine kurze Weile standen sie schweigend da, jede in ihre Gedanken versunken, und sahen auf die See hinaus. Lenobia wusste, dass ihr Leben sich nun, da sie enttarnt war, verändern würde, vermutlich zum Schlechteren. Dennoch konnte sie eine gewisse Erleichterung nicht unterdrücken, dass die drückende Last der Lüge endlich von ihr gefallen war.
»Es war so schrecklich, lügen zu müssen«, hörte sie sich den Gedanken laut aussprechen.
»Ich bin froh, dass du es so betrachtest. Du kommst mir nicht wie ein unehrlicher Mensch vor.« Marie Madeleine sah sie an. »Sag mir offen: Wusste wirklich niemand sonst von deiner Täuschung?«
Diese Frage hatte Lenobia nicht erwartet. Sie sah zur Seite, unfähig, die Wahrheit auszusprechen, aber nicht willens, wieder zu lügen.
»Ah, ich verstehe. Deine Maman«, sagte die Schwester nicht unfreundlich. »Es hat keine Bedeutung. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich werde dir keine Fragen mehr dazu stellen.«
»Danke, Schwester«, sagte Lenobia leise.
Die Nonne schwieg ein wenig, dann fuhr sie in strengerem Ton fort. »Statt die Krankheit vorzutäuschen, hättest du gleich zu mir kommen sollen, als du den Bischof sahst.«
»Ich wusste nicht, was Ihr tun würdet«, gestand Lenobia.
»Das weiß ich auch nicht genau, aber eines weiß ich: Ich hätte alles getan, um einen solch hässlichen Zusammenstoß, wie du ihn heute mit ihm hattest, zu vermeiden.« Ihr Blick war klar und scharf. »Was habt ihr beiden für Differenzen?«
»Von mir aus keine!«, versicherte Lenobia eilig. Dann seufzte sie. »Vor einiger Zeit beschloss meine Maman, die eigentlich recht fromm ist, dass wir nicht mehr zur Messe gehen sollten. Das führte dazu, dass der Bischof zu Besuch aufs Schloss kam – dass er mich mit den Blicken verfolgte.«
»Hat der Bischof dir etwas angetan?«
»Nein! Nichts dergleichen. Meine Unschuld ist unangetastet.«
Marie Madeleine bekreuzigte sich. »Der gesegneten Mutter sei Dank.« Sie seufzte tief. »Der Bischof bereitet mir Kummer. Er ist kein Mann, den ich gerne als Oberhaupt unseres Bistums sehe. Doch Gottes Wege sind uns nicht immer begreiflich. In ein paar Wochen wird die Reise zu Ende sein, und in Nouvelle-Orléans werden den Bischof so viele neue Pflichten erwarten, dass er keine Zeit haben wird, noch an dich zu denken. Also müssen wir dich nur noch wenige Wochen von ihm fernhalten.«
»Wir?«
Marie Madeleine hob die Brauen. »Wir Ursulinen dienen der Heiligen Mutter. Sie würde nicht wollen, dass ich untätig mit ansehe, wie eine ihrer Töchter bedrängt wird, nicht einmal von einem Bischof.«
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