Lenobias Versprechen: Eine House of Night Story (German Edition)
Ursache.«
Der Bischof entschuldigte sich, überließ den Commodore seinem Portwein und zog sich in seine kleine Kabine zurück. Dort setzte er sich an den Tisch und entzündete eine lange dünne Kerze. Während er mit den Fingern an der Flamme entlangstrich, dachte er über das Bastardmädchen nach.
Zunächst hatte ihre Täuschung ihn entsetzt und erzürnt. Doch während er sie beobachtete, waren Zorn und Überraschung zu einem viel tieferen Gefühl verschmolzen.
Charles hatte völlig vergessen gehabt, wie schön das Mädchen war – wobei die Wirkung, die sie bei ihm auslöste, auch etwas mit den vielen Wochen erzwungener Enthaltsamkeit auf diesem vermaledeiten Schiff zu tun haben mochte.
»Nein«, sagte er zu der Flamme. »Es ist nicht nur das Fehlen einer Bettgenossin, weswegen sie mein Verlangen weckt.«
Sie war sogar noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte, obgleich sie an Gewicht verloren hatte; ein bedauernswerter Umstand, der zum Glück leicht zu beheben war. Er bevorzugte sie runder, weicher, praller. Er würde dafür sorgen, dass sie aß – ob sie wollte oder nicht.
»Nein«, wiederholte er. »Es ist mehr als das.« Ihre Augen. Ihr Haar. In diesen Augen war ein Schwelen, wie Rauch. Er konnte sehen, wie sie ihn lockten, auch wenn sie sich bemühte, diesen Lockruf zu leugnen.
Und ihr Haar war silbern – wie Metall, das im Feuer erprobt und gehärtet und zu etwas Höherem geschmiedet wurde als es ursprünglich war.
»Und sie ist keine wahre fille à la cassette . Sie wird niemals die Braut eines französischen gentilhomme werden. Tatsächlich hat sie Glück, dass sie meine Aufmerksamkeit erregt hat. Meine Mätresse zu werden ist sehr, sehr viel mehr, als sie eigentlich von der Zukunft zu erhoffen hätte.«
Belächelt und verachtet zu werden ist weniger anstößig als die Aufdringlichkeiten des Bischofs , stieg in seiner Erinnerung auf. Doch er ließ nicht zu, dass die Worte seine Wut wieder anfachten.
»Es wird einige Überzeugungsarbeit nötig sein. Doch sei’s drum. Ich mag es, wenn sie etwas Geist haben.«
Wieder und wieder streichelten seine Finger die Flamme – ohne zu versengen, sogen sie die Hitze in sich auf.
Es wäre gut, wenn das Mädchen schon die Seine wäre, ehe sie Nouvelle-Orléans erreichten. Dann hätten diese großtuerischen Ursulinen nichts zu meckern. Für ein unschuldiges Kind würden sie sich verantwortlich fühlen – eine befleckte Bastardgöre, die zur Mätresse eines Bischofs geworden war, läge außerhalb ihrer Zuständigkeit.
Doch dafür musste er sie sich zu eigen machen, und damit dies möglich wurde, musste er zuerst die dreimal verfluchte Nonne ausschalten.
Seine freie Hand ballte sich um das rubinbesetzte Kreuz auf seiner Brust. Die Flamme flackerte wild.
Nur der Schutz der Nonne verhinderte, dass er die Kleine für den Rest der Reise und darüber hinaus zu seinem Spielzeug machen konnte – nur die Nonne, die den Zorn der Kirche auf ihn herabrufen konnte. Die anderen Mädchen waren ohne Belang. Ihnen würde es nicht einfallen, gegen ihn aufzubegehren, geschweige denn sich mit einer Beschwerde an eine höhere Autorität zu wenden. Dem Commodore war außer einer reibungslosen Fahrt und seinem Wein alles egal. Solange Charles sie nicht vor seinen Augen vergewaltigte, würde er vermutlich nur mäßiges Interesse zeigen – es sei denn, er begehrte das Mädchen ebenfalls.
Die Hand des Bischofs, mit der er die Kerze liebkost hatte, ballte sich zur Faust. Er teilte seinen Besitz grundsätzlich nicht.
»Ja, ich werde die Nonne loswerden müssen.« Lächelnd öffnete Charles die Hand wieder und begann von Neuem das Spiel mit der Flamme. »Und ich habe bereits Schritte unternommen, um ihr vorzeitiges Ende herbeizuführen. Welch eine Schande, dass ihr Habit so weit und so entzündlich ist. Ich spüre, dass ihr womöglich ein schrecklicher Unfall widerfahren wird …«
Sechs
Lenobia konnte es kaum erwarten, dass der Tag anbrach. Endlich, als der Himmel vor dem Bullauge zu erröten begann, hielt sie es nicht länger aus. Sie rannte fast zur Tür und hielt nur inne, weil Marie Madeleine ihr warnend zuraunte: »Hab acht, Kind. Bleib nicht zu lange bei den Pferden. Wenn du dem Bischof aus dem Sinn bleiben möchtest, darfst du ihm nicht wieder unter die Augen kommen.«
»Ich bin vorsichtig, Schwester.« Und Lenobia schlüpfte in den Gang. Den Sonnenaufgang sah sie sich zwar an, doch ihre Gedanken waren bereits unter Deck, und noch ehe der glutrote Ball
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