Leo Berlin
geahnt, dass ihre Tochter in dieser Farbe einmal ganz
bezaubernd aussehen würde. Und auch ihre Augen erinnerten an zwei
frisch erblühte Veilchen, Tränen wie Tau an ihren Wimpern . . .
Er lachte leise. Was die
Liebe aus den Menschen machte – Heilige, Verrückte oder sogar
Dichter.
Natürlich würden
sie die Verlobung bald bekannt geben, auch im großen Rahmen, wenn
ihr daran lag. Und eine prächtige Hochzeitsfeier sollte sie haben,
mit Orangenblüten und weißem Tüll, wenn sie es altmodisch
mochte. Er würde Frack und Zylinder tragen, wie es sich für
einen Mann seiner Stellung gehörte. Und die Flitterwochen würden
sie an einem romantischen Ort wie Venedig verbringen.
3
Das Büro mit der hohen
Decke wirkte nüchtern und gleichzeitig sakral. Einige bunte
Kunstdrucke milderten die Eintönigkeit der weißen Wände,
obwohl manche Kollegen die »modernen« Bilder eher misstrauisch
betrachteten. Die Einrichtung war – wie in den meisten Dienstzimmern
– schlicht und zweckmäßig. Nur der Kollege Ernst Gennat
hatte in seinem Büro ein gemütliches Sofa stehen, auf dem er
seine Fälle zu erörtern und dabei Kuchen zu essen pflegte.
»Gut, fangen wir an«,
sagte Leo zu Robert Walther und breitete die Unterlagen, die sie in der
Wohnung des Ermordeten sichergestellt hatten, auf dem Schreibtisch aus.
»Ich gehe den Terminkalender durch, du schaust dir die anderen
Sachen an.«
Das Buch, in dem Gabriel
Sartorius seine Patiententermine verzeichnet hatte, war in teures
weinrotes Leder gebunden und passte zu der Eleganz der Wohnung. Leo blätterte
bis zu der Seite mit dem Datum des Vortages. Sartorius hatte insgesamt fünf
Besucher gehabt, die letzte Patientin, eine gewisse Ellen Cramer, war für
vier Uhr eingetragen. Wie lange mochte eine Behandlung bei dem Heiler
dauern? Er schaute in Frau Molls Vernehmungsprotokoll. Sie hatte die
Wohnung pünktlich um sieben Uhr betreten. Er betrachtete die
Behandlungstermine, die im Durchschnitt anderthalb Stunden auseinander
lagen. Angenommen, Frau Cramer war um vier Uhr erschienen und um fünf
Uhr wieder gegangen. Der Tod war laut Aussage des Arztes zwischen fünf
und sechs eingetreten, so dass dem Mörder im Höchstfall eine
Stunde für sein Vorhaben geblieben war. Eine Stunde, in der außer
dem Opfer wohl niemand im Haus gewesen war.
Schweigend blätterten
sie die Unterlagen durch, bis Leo durch die Zähne pfiff. »Das
musst du dir anhören, Robert.« Er las eine Reihe Namen vor.
»Roger Walden, Sita Selenko, Harry Asmus, Elisa Reichwein, Sascha
Roloff –«
Sein Kollege trank einen
Schluck Kaffee und sah ihn verblüfft an. »Lauter Filmleute und
Künstler.«
»Und das sind nur die
Namen, die ich kenne«, meinte Leo, der sich selten mit den
Klatschspalten der Boulevardpresse befasste. »Und hier, Mathilde
Westheim, ob das die Frau des Delikatessenkönigs ist? Sartorius
scheint überaus illustre Patienten gehabt zu haben, kein Wunder, dass
er sich diese Wohnung leisten konnte.« Er stützte den Kopf in
die Hand und schaute versonnen zur Decke. »Wenn von Malchow wüsste,
welch interessanten Fall er gerade verpasst.«
»Wieso? Ich dachte, der
kommt heute wieder.«
»Schon, aber ich habe
darum gebeten, ihn Kommissar von Fritzsche beizuordnen, wie es so schön
heißt. Ich kann nicht mit ihm zusammenarbeiten. Die sollten ein
Sonderdezernat Orden und Ehrenabzeichen für ihn einrichten.«
Walther grinste. Er kannte
Leos tiefsitzende Abneigung gegen Offiziere, die aus dem verlorenen Krieg
heimgekehrt waren und noch immer taten, als höre die ganze Welt auf
ihr Kommando. Er kannte keinen Mann, der weniger militärisch
eingestellt war als Leo Wechsler, was nichts über dessen persönlichen
Mut aussagte, doch das Obrigkeitsdenken der preußischen Armee war
ihm völlig fremd. Daher hatte er während des Krieges seinen
Dienst bei der Kripo versehen und nicht einmal den Versuch unternommen,
sich freiwillig zu melden, was ihm so manchen verächtlichen Blick
eingetragen hatte. Vor 1914 hatte man das Präsidium gern als
Adelsklub bezeichnet, weil viele Beamte nach einer Offizierslaufbahn in
den Polizeidienst eingetreten waren. Heutzutage war das anders, aber man
traf, vor allem in den oberen Rängen, noch immer viele »von«
und »zu« an.
Leo Wechsler dagegen stammte
aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Gemüsehändler
gewesen und hatte nur
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