Leo Berlin
die Häuser schienen sich eng
zusammenzudrängen, als wollten sie die Kastanie in der Mitte des
Vierecks ersticken. Frau Molls Wohnung lag im ersten Hinterhaus und war
über eine enge Treppe zu erreichen. Als Leo Wechsler die Haustür
öffnete und auf die erste Stufe trat, schlugen ihm die
unterschiedlichsten Gerüche entgegen – gekochter Kohl,
Schimmel, feuchte Wäsche.
Die dunkelbraune Wohnungstür
fiel dadurch auf, dass sie neu und glänzend aussah und ein
Namensschild trug. Er klingelte. Schritte näherten sich, dann spähte
Frau Moll durch den Türspalt. Bei Leos Anblick öffnete sie die Tür
und schaute ihn besorgt an. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Doch, Frau Moll. Wenn
ich hereinkommen dürfte. Ich habe noch ein paar Fragen.«
»Hat es was mit meinen
Abdrücken zu tun?«
»Nein.« Er lächelte
beruhigend und wurde in die enge Diele vorgelassen. Links konnte er in
eine kleine Küche sehen. Ausguss und Herd waren ausgesprochen sauber,
die Kohlenkiste stand ordentlich daneben, auf dem Tisch ein Weckglas mit
ein paar Sommerblumen. Frau Moll führte ihn in die Wohnstube, die
gleichzeitig als Schlafzimmer diente, und bot ihm einen abgewetzten Sessel
an. Leo nahm dankend Platz. Er sah sich kurz um, sein geschulter Blick
verriet ihm, dass die Bewohnerin trotz ihrer Armut versuchte, einen Rest
von Bürgerlichkeit zu bewahren. Davon zeugten die Stickbilder mit den
Sinnsprüchen und die vereinzelten Nippfiguren auf dem Büfett.
Frau Moll blieb unschlüssig stehen und setzte sich dann auf ein
Zeichen von ihm auf einen Stuhl.
Er beugte sich vor und
klemmte die Hände zwischen die Knie. »Sie könnten uns sehr
helfen. Wir benötigen Auskunft über die Menschen, die bei Herrn
Sartorius ein und aus gegangen sind: Freunde, Bekannte, Patienten. Jeder
noch so kleine Hinweis kann dienlich sein. Sie wollen sicher auch, dass
wir seinen Mörder finden.«
Die Haushälterin nickte
eifrig. »Natürlich. Aber . . . außer seinen Patienten hat
er selten Leute empfangen. Er ging lieber aus, ließ sich
unterhalten. Das war doch sein gutes Recht, oder?«
»Gewiss. Ich habe mir
seinen Terminkalender angesehen und war erstaunt über die vielen
Namen, die man täglich in der Zeitung liest. Filmschauspieler,
bekannte Geschäftsleute, Damen der Gesellschaft.«
»Nun, ich habe ja
gesagt, er war sehr beliebt und hat vielen geholfen.«
Wenn sie nur nicht so
verdammt loyal und ein bisschen klatschsüchtiger wäre, dachte er
und verdrehte innerlich die Augen.
»Gut, aber es muss
mindestens einen Menschen gegeben haben, der ihn nicht gemocht hat. Der
ihn so hasste, dass er ihm den Schädel eingeschlagen hat«,
sagte Leo absichtlich brutal. Die Frau zuckte zusammen und sah ihn
betroffen an.
»Da haben Sie Recht.«
Sie schien zu zögern, und er spürte, wie sie mit sich rang.
»Na ja, vor einer Weile, es ist vielleicht ein Jahr her, war mal die
Polizei da.«
»Die Polizei?«,
hakte Leo sanft nach, um sie nicht zu verunsichern.
»Ja, zwei Männer
wie Sie, ohne Uniform, auch von der Kriminalpolizei.«
»Wissen Sie, worum es
ging?«
Sie biss sich auf die Lippen.
»Hm, ich habe Herrn Sartorius das Essen ins Speisezimmer gebracht,
er musste noch weg und wollte sich von dem Besuch nicht den Abend
verderben lassen. Hat er mir später gesagt.«
»Und? Haben Sie von dem
Gespräch etwas mitbekommen?« Er ließ ihr Spielraum, damit
sie nicht zugeben musste, dass sie womöglich an der Tür
gelauscht hatte.
»Ja, beim Rausgehen hab
ich mitgekriegt, dass es um Kokain ging. Dieses Rauschgift, von dem man
jetzt so viel hört.«
Leo pfiff leise vor sich hin.
Also gab es doch Flecken auf der weißen Weste des Heilers. Er musste
unwillkürlich an die Dankesschreiben denken. Was waren das wohl für
Heilmittel gewesen, die eine so wundersame Wirkung entfaltet hatten?
»Sind die Beamten lange
geblieben?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, und ich habe sie auch nie wieder in der Wohnung gesehen.
Vielleicht war es ja ein Irrtum, oder jemand wollte ihm schaden.«
»Da könnten Sie
Recht haben, Frau Moll. Jedenfalls danke ich Ihnen und bitte Sie, sich
sofort zu melden, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte. Alles kann
wichtig sein, ein Streit, Briefe ohne Absender, was auch immer.«
Sie brachte ihn zur Tür
und schien erleichtert, als er in den Flur trat und die Treppe
hinunterging.
Als er das Vorzimmer betrat,
eilte
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