Leo Berlin
widerwillig akzeptiert, dass sein Sohn diesen
sonderbaren Beruf ergriff. Durch seine Begabung war Leo relativ schnell
weitergekommen, auch wenn er öfter einmal durch unkonventionelles
Verhalten auffiel. Dass er sich den prügelnden Schupos in den Weg
gestellt hatte, nahmen ihm die Konservativen unter seinen Kollegen bis
heute übel.
Leo musste ehrlich zugeben,
dass viele dieser »Landjunker« durchaus fähige
Kriminalisten waren, doch bei Herbert von Malchow hörte sein Verständnis
auf. Von der ersten Minute an hatte eine tiefe Abneigung zwischen ihnen
geherrscht, und er vermutete insgeheim, dass es mit der kriminalistischen
Begabung des Neuen auch nicht allzu weit her war. Beziehungen, hatte er
gedacht, vielleicht wusste die Familie nicht, was sie mit ihm anfangen
sollte, und hatte ihn zur Polizei abgeschoben. Andererseits war die
Berliner Kripo für die ausgezeichneten Fähigkeiten ihrer Beamten
bekannt. Im Grunde konnte sie sich bei der ungeheuren Kriminalität,
unter der Berlin seit Kriegsende zu leiden hatte, gar keine derartigen
Freundschaftsdienste leisten.
Zurück zum Wunderheiler,
mahnte er sich.
»Arm war der jedenfalls
nicht«, sagte Robert nach einer Weile. »Sparbücher,
Wertpapiere, ein Wochenendhaus am Wannsee. Der muss an seinen prominenten
Patienten ganz schön verdient haben.«
»Na ja, er wird sie
sich schon entsprechend ausgesucht haben«, meinte Leo.
Schweigend arbeiteten sie
weiter.
»Hier, Leo, eine Mappe
mit Dankesschreiben. Die musst du dir ansehen.« Walther schob ihm
einen Aktenordner hin, der säuberlich abgelegte Briefe enthielt,
viele auf elegantem Papier mit persönlichem Briefkopf oder Prägesiegel
verfasst.
Leo blätterte die Mappe
durch und las einzelne Sätze vor. »Sie haben mir zu einem neuen
Leben verholfen. Edda von Walsick. – Noch nie habe ich die Liebe zu
meiner Frau so drängend, so intensiv erlebt. Prof. W. Keller. –
Die Träume, zu denen Sie mir verholfen haben, lieber Meister, haben
mir Einblicke gewährt, die alles verändern werden. Elisa
Reichwein.« Er schaute hoch und begegnete Walthers Blick. Sein
Kollege schien die gleiche Idee zu haben. »Ob die dankbaren
Patienten wissen, dass er das alles aufbewahrt hat?«
Walther grinste. »Was
mag er dem Ehepaar Keller wohl verordnet haben? Wenn ich an die Bilder in
seinem Schlafzimmer denke.«
Leo lachte. »Ich fürchte,
wir kommen nicht umhin, die werten Herrschaften persönlich
aufzusuchen.«
In diesem Moment kam Stahnke,
der rote Walrossschnäuzer, mit einigen zusammengehefteten Blättern
herein. »Herr Kommissar, hier sind die Ergebnisse der Fingerabdrücke.
An der mutmaßlichen Mordwaffe fanden wir nur einige Fragmente von
Abdrücken der Haushälterin, allerdings sehr verwischt. Keine vom
Opfer oder anderen Personen.«
Leo runzelte die Stirn. Diese
Aussage widersprach seinem instinktiven Gefühl, doch bei Stahnkes nächsten
Worten hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Möglicherweise hat
der Mörder Handschuhe getragen. Das würde auch die verwischten
Spuren erklären.«
Er reichte Leo die
Unterlagen.
»Gute Arbeit, Stahnke,
das werde ich mir merken«, sagte Leo und meinte es auch so. Die
wissenschaftlich arbeitende Spurensicherung war erst im Aufbau, und fähige
Leute galten als wahres Geschenk.
Stahnke grinste erfreut und
ging hinaus. »Wenn der so weitermacht, geb ich beim nächsten
Mal ’ne Molle aus«, sagte Leo und machte sich an das Studium
des Berichts. »Überall die Abdrücke der Haushälterin,
aber das war ja zu erwarten. Dazu die des Toten und einige, die noch nicht
identifiziert werden konnten.« Er bohrte nachdenklich einen
Bleistift in seine Wange, dann sprang er auf. »Warte mal, Robert.«
Er verließ eilig das Büro
und kam bald darauf zurück. »Stahnke soll alle Abdrücke
mit dem Album vergleichen, vielleicht treffen wir ja auf einen Bekannten.«
Die daktyloskopische Kartei der Berliner Kripo war bereits sehr
umfangreich, und bei den zahlreichen Razzien, die Glücksspiel- und
Sittendezernat durchführten, kamen ständig neue Proben zusammen.
Dann sagte er spontan zu
Robert: »Hör mal, ich fahre jetzt zu Frau Moll. Ich habe so ein
Gefühl, dass wir noch etwas aus ihr herausbekommen können, aber
hier in der Fabrik wäre sie vermutlich eingeschüchtert. Bis später.«
Der Hinterhof war trotz des
strahlenden Wetters dunkel und feucht,
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