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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Gesicht. Ob er sie tatsächlich auf Dauer von ihren Schmerzen befreit
     hätte? Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Erinnerung
     verdrängen.
    Sie warf einen liebevollen
     Blick auf die Photographie ihrer Tochter, die neben dem Spiegel stand.
     Bald würde Viola von ihrer Reise an die Ostsee zurückkehren.
    Beim Zubettgehen dachte sie
     noch einmal daran, wie sie nichtsahnend das Haus des Heilers verlassen
     hatte, die Nussbaumallee entlanggegangen war, zufrieden, dass sie endlich
     jemanden gefunden hatte, der sie von ihren quälenden Schmerzen
     befreien würde. An der nächsten Straßenecke hatte sie ein
     Taxi genommen und beim Einsteigen noch flüchtig einen Bekannten
     gesehen, der gerade aus seinem eleganten rot- und cremefarbenen Delage
     stieg.

 
    4
    Die gesamte Berliner
     Presse stapelte sich auf seinem Schreibtisch. Er studierte die Zeitungen
     aufmerksam, las alle Berichte über den Mord an dem Heiler Sartorius.
     Sie ahnten nichts. Ein Raubmord wurde ausgeschlossen, da nichts aus der
     Wohnung entwendet worden war.
    Als er die Artikel las,
     ging eine Veränderung in ihm vor. Er kam sich plötzlich
     ungeheuer mächtig, beinahe allmächtig vor. Er hatte die Tat
     nicht einmal geplant, sie war einfach geschehen. Und niemand würde
     ahnen, wie leicht es gewesen war, so leicht, dass es seiner beinahe nicht
     würdig war.
    Er ging ins Schlafzimmer,
     öffnete den schön geschnitzten Kleiderschrank, zog eine Wäscheschublade
     auf und betrachtete fast liebevoll die Handschuhe. Samt, Kalbsleder,
     Satin, Glattleder, in allen Farben, mit Lochmuster, gestrickt mit
     Lederbesatz für den Winter, sportlich mit geknöpftem Riegel
     über dem Handrücken zum Autofahren. Bedachtsam wählte er
     ein Paar aus, das er noch nie getragen hatte, strich sanft darüber
     und legte es wieder in die Schublade zurück.
    Leo saß zu Hause an
     seinem Sekretär, den Kopf in die Hände gestützt. Bislang führten
     alle Spuren ins Nichts. Die Personen, die Sartorius an seinem Todestag
     behandelt hatte, besaßen alle ein sicheres Alibi.
    Das Gespräch mit Elisa
     Reichwein hatte ihm neue Einblicke in die Berliner Kunstwelt, aber kaum
     kriminalistische Erkenntnisse beschert.
    Er war neugierig auf den
     Besuch in der Galerie gewesen, weil er sich selbst für Kunst
     interessierte und die Galerie Reichwein vor allem die Avantgarde vertrat.
    Die Besitzerin öffnete
     ihm persönlich die Tür, eingehüllt in ein fließendes
     Kleid mit geometrischen Mustern, das an die Bilder erinnerte, die an den Wänden
     ihrer Galerie hingen, und führte ihn in einen riesigen Raum mit hohen
     Fenstern, der ganz in Blassgelb gehalten war, um alles Augenmerk auf die
     Bilder zu lenken. Sie streckte ihm die Hand entgegen, als erwarte sie
     einen Handkuss, doch Leo ließ sich nicht auf solche Gesten ein.
    Elisa Reichwein schien nichts
     von Bubiköpfen zu halten, sondern trug ihr schwarzes Haar, das wie
     Lack glänzte, streng nach hinten gekämmt und im Nacken zu einer
     festen Rolle gesteckt, was ihr ein leicht japanisches Aussehen verlieh.
     Dazu passten auch die porzellanweiße Haut, die sorgfältig
     gepudert war, und der karminrote Lippenstift. Nicht mein Typ, dachte Leo,
     aber unbestreitbar apart.
    »Möchten Sie mir
     gleich Fragen stellen oder erst einen Blick auf die Bilder werfen?«,
     fragte sie mit wohlklingender Altstimme und deutete mit der türkischen
     Zigarette, die sie sich soeben angezündet hatte, auf die Bilder an
     den hellgelben Wänden.
    »Die Bilder«,
     sagte Leo und schaute sich um. Die aktuelle Ausstellung zeigte ausgewählte
     dadaistische Werke der letzten sieben Jahre. Bilder von Marcel Janco, Max
     Oppenheimer und Francis Picabia, Stickereien von Sophie Täuber-Arp,
     eigenartig geformte Objekte von Hans Arp und Marcel Duchamp. So
     verschieden sie waren, spiegelten sie doch alle die ungeheuren Umwälzungen
     wider, die Europa im letzten Jahrzehnt erlebt hatte. Altes wurde gnadenlos
     umgestürzt, Traditionen zerbrachen.
    »Das ist leider nur ein
     kleiner Ausschnitt«, sagte Elisa Reichwein. »Max Ernst konnte
     ich beispielsweise gar nicht bekommen.«
    Leo war vor ein Bild von
     George Grosz getreten, auf dem eine rasende Menge um einen Sarg tobte,
     umgeben von Hochhäusern, im Vordergrund ein Café, aus dem rote
     Flammen loderten. Ein Tanz, kurz vor dem Untergang. Oder schon danach.
    »Gefällt es Ihnen?«
    »Gefallen ist nicht das
     richtige Wort. Ich finde es . . . beunruhigend. Man muss einfach
    

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