Leo Berlin
dem
Chef. Der kann dich für den Tagdienst einteilen.«
Unwillig schlug Leo mit der
Hand auf den Tisch. »Du weißt genau, dass das nicht geht. Ich
kann als Kommissar schlecht die Ermittlungen unterbrechen und meinen
Leuten sagen, morgen früh um acht bin ich wieder da.«
Walther kannte Leos inneren
Zwiespalt. Der Mann war hin- und hergerissen zwischen seinen Kindern und
einer Arbeit, die ungewöhnlichen Einsatz und Dienststunden weit
über das übliche Maß forderte. Er selbst war zum Glück
unverheiratet. Andererseits kannte er auch Leos Leidenschaft für
seinen Beruf, selbst wenn er manchmal nicht ganz verstand, woher sie rührte.
Er hatte ihn dabei beobachtet, wie er andächtig Bilder betrachtete
oder sich in ein Buch vertiefte, und gedacht, was einen Menschen wie Leo,
der schöne Dinge liebte, wohl zu dieser oft so hässlichen Tätigkeit
hinzog.
»Vielleicht lernst du
ja mal wieder jemanden kennen«, sagte Robert vorsichtig.
»Wie denn?«,
fragte Leo skeptisch. »Abends hat unsereins meist keine Zeit,
auszugehen. Und wenn, ist es dienstlich. So wie im Kokskeller.« Er
grinste schief.
»Ach, komm. Du warst
bei Frau Cramer –«
»Nicht mein Typ und
verheiratet«, warf Leo ein.
»– und bei Frau
Reichwein –«
»Reizvoll, aber wohl
kaum an einem Witwer mit zwei Kindern interessiert.«
»Tja. Dann musst du
eben deinen Beruf zur Braut nehmen wie Gennat.«
Kriminaloberkommissar Ernst Gennat war für seinen Argwohn gegenüber
dem weiblichen Geschlecht bekannt, den er durch seine leidenschaftliche
Liebe zum Beruf und den Konsum ungeheurer Kuchenmengen kompensierte.
»Ich weiß nicht .
. .« Leo schaute auf die Tischplatte, als könnte er dort eine
Antwort finden. »Schön wäre es schon.« Dann trank er
sein Glas aus und stellte es geräuschvoll auf den Tisch, womit er den
Abend beendete.
»Gehen wir, Robert.«
Er lag noch nicht lange im
Bett, als jemand heftig gegen die Wohnungstür hämmerte.
Verschlafen torkelte er durch den Flur und öffnete das Fensterchen in
der Tür.
Draußen stand eine
Nachbarin, die er vom Sehen kannte, an der Hand die kleine Inge Matussek
mit tränenverschmiertem Gesicht. »Entschuldigen Sie die Störung,
Herr Kommissar, aber ich glaube, der Matussek hat seine Frau umgebracht.«
5
Leo sah auf die Uhr. Halb
zwei. Er weckte seine Schwester und ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo die
Nachbarin mit der kleinen Inge Matussek saß. Das Kind schmiegte sich
eng an die Frau und schien nicht recht zu begreifen, wo es sich befand.
»Kümmerst du dich bitte um die beiden?«
»Was ist denn los«?«,
flüsterte Ilse verschlafen. Sie war ihm in den Flur gefolgt.
»Sie sagt, Matussek
habe seine Frau getötet.«
»Mein Gott.« Ilse
warf einen hilflosen Blick ins Wohnzimmer. »Was soll ich . . .«
»Was weiß denn
ich? Herrgott, koch ihnen einen Kamillentee, ich bin gleich wieder da.«
Er zog einen Pullover über
den Pyjama, nahm eine Taschenlampe und eilte die Treppe hinunter auf die
Straße. Alles war menschenleer. Nur ein Betrunkener taumelte an den
Hauswänden auf der gegenüberliegenden Straßenseite
entlang.
Er betrat den Innenhof des
Hauses Nr. 56. Aufgestapeltes Gerümpel zeichnete sich als dunkler
Schattenberg vor der helleren Hauswand ab. Die Fenster waren nur schwarze
Vierecke. Nirgendwo brannte Licht. Er zuckte zusammen, als eine Ratte an
seinem Fuß entlanghuschte. Die Tür zur Schusterwerkstatt war
verschlossen, doch die Wohnungstür nebenan stand einen Spalt offen.
Leo schaltete die Taschenlampe ein und trat in die enge Diele. Es roch
nach Armut und feuchter Wäsche. Er schaute in die Wohnküche,
dort war niemand. Blieb nur das Schlafzimmer.
Sie lag auf dem Boden, einen
Fuß noch im Pantoffel, der andere nackt. Ihr Kopf war weit zur Seite
gedreht, um den Hals zog sich ein Band aus Würgemalen. Er beugte sich
über die Frau, fühlte vorsichtig den Puls. Nichts.
Leo war versucht, heftig
gegen die Wand zu treten. Solche Geschichten hasste er, abrupter Tod, ein
zurückgelassenes Kind, ein zerbrochenes Leben. Wo war der Mann? Leo
trat wieder in den Hof und sah sich um.
Matussek war in der Nähe,
ganz sicher. Leo schaltete die Taschenlampe aus und umrundete einmal das
Mauergeviert. Dann ging er rasch durch den Torbogen in den zweiten
Hinterhof, dessen noch bedrückendere Enge selbst im Dunkeln zu spüren
war. Aus einer Ecke drang leises
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