Leo Berlin
hier verkehrte.
Ist im letzten Jahr sogar mal von den Kollegen befragt worden.« Er
sah Walther an. »Ich glaube, wir sollten die Jungs noch mal
herschicken, was?«
»So ’n jroßer
Kerl mit langen Haaren?«, fragte Paule plötzlich beflissen.
»Der war öfter mal hier.«
»Hat er größere
Mengen gekauft oder nur für den Eigenbedarf?«
»Hm, jekooft hat er
nich ville, mal zehn Gramm, mal wat mehr. Hat nich jroß jehandelt, würd
ick sagen.«
»Meinst du, er hat es
selbst genommen?«, nahm Walther den Faden auf. Ihm wurde es zu
stickig im Keller, er sehnte sich nach der frischen Abendluft. Außerdem
hasste er den Geruch. Er erinnerte ihn an Dinge, die er lieber vergessen
wollte.
»Na ja, so richtich
viel hat er nich jenommen. Kann schon sein, dat er anderen ooch wat
jejeben hat.«
»Wem denn?«,
bohrte Leo weiter und zog ungeduldig die Augenbrauen hoch.
»Tja, da war mal so
’ne Kleene, nettet Ding, richtich duftes Mädel, juter Stall,
det konnt man sehen . . . die sind mal zusammen hier jewesen. Später
kam se dann alleene, immer öfter. Hat jekokst wie ’ne Alte. Die
Nasenlöcher waren schon janz kaputt . . . Seit ’n paar Monaten
isse nich mehr aufjetaucht. Moment.« Er kam hinter dem Tresen hervor
und verschwand in einem Hinterzimmer. Kurz darauf kam er zurück.
»Ick hab den Fritz jefragt, der hat ihr immer wat jejeben. Verena
Moltke hieß die Kleene. Den Rest müssen Se aber selber
rausfinden, Herr Kommissar.«
Als sie zur Tür gingen,
stand ein junger Mann auf und taumelte gegen Walther, der ihn angewidert
von sich stieß. Leo sah einen Augenblick lang das Gesicht, hager,
bleich, mit rot geränderten Nasenlöchern und trüben Augen.
»Haben Sie vielleicht ein bisschen Geld für mich?«,
fragte er mit einer Stimme, die überraschend gebildet klang. Leo schüttelte
den Kopf und folgte seinem Kollegen die Treppe hinauf auf die Straße.
Walther lehnte an einem
Laternenpfahl und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Immer noch?«,
fragte Leo.
»Geht nie ganz weg.«
Im Krieg hatte Robert Walther
eine schwere Bauchverletzung erlitten und war mit Morphium behandelt
worden. Nach seiner Genesung hatte er monatelang gegen die Sucht nach dem
Rauschmittel angekämpft, bevor er wieder den Dienst aufnehmen konnte.
Leo wusste, dass er die Arbeit in diesem Milieu als persönliche Prüfung
betrachtete, und nahm ihn grundsätzlich mit, wenn er mit Rauschgiftsüchtigen
zu tun hatte. Das mochte unorthodox sein, war aber der Grundstein ihrer
Freundschaft, und Walther wäre für Leo durchs Feuer gegangen.
»Manchmal muss ich
denken, was aus mir geworden wäre . . .«, sagte Walther kopfschüttelnd.
Leo sah auf die Uhr. Halb
elf. »Noch ’ne Molle vor dem Schlafengehen?«, fragte er
seinen Kollegen. Walther nickte.
Sie fuhren zu einer Kneipe in
der Friedrichstadt, nicht weit vom Präsidium. Es waren nur noch
wenige Gäste da, und der Wirt räumte schon die Gläser weg,
grinste aber, als er die beiden Kriminalbeamten hereinkommen sah. »Späte
Kundschaft, was? Zwei Weiße, die Herren?«
Sie nickten und setzten sich
in eine Nische.
»Was hältst du von
dem Tipp?«, fragte Leo.
»Klang ganz plausibel.
Wenn Sartorius dieses Mädchen nun zum Rauschgift verführt und
dann im Stich gelassen hat . . . Womöglich gibt es einen Vater,
Bruder oder Verlobten, der davon wusste und Sartorius dafür
verantwortlich gemacht hat.«
»Stahnke und Berns
sollen den Namen morgen überprüfen.« Er verstummte, als
der Wirt die Getränke brachte. »Na, wie läuft das Geschäft?«,
fragte Leo.
»Die Leute haben kein
Geld mehr in der Tasche. Sogar die Polizei kommt erst kurz vor der
Sperrstunde«, knurrte der Wirt gereizt.
Als er gegangen war, sah
Walther Leo prüfend an. »Ist ja schön, dass wir noch einen
trinken, aber mir kommt es vor, als würdest du in letzter Zeit nicht
gern nach Hause gehen.«
»Stimmt. Wenn die
Kinder nicht wären . . .« Leo fuhr sich mit der Hand durchs
Haar und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. »Mit Ilse ist es
nicht einfach. Sie hat das Gefühl, bei uns ihr Leben zu verschwenden.«
»Das klingt aber hart.«
»Ist auch hart. Für
sie, meine ich. Anstatt eine eigene Familie zu gründen, kümmert
sie sich ständig um meine Kinder. Sie lernt niemanden kennen, kommt
selten unter Leute, weil ich abends oft dienstlich unterwegs bin.«
»Rede doch mit
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