Leo Berlin
Kratzen. Leo schaltete die Taschenlampe
ein und entdeckte einen Kaninchenstall. Ein Tier knabberte geräuschvoll
am hölzernen Rahmen der Drahttür. Dann sah er Matussek.
Der Schuster kauerte hinter
dem Stall an der Wand und hielt sich die Hände vors Gesicht, als der
Strahl der Taschenlampe auf ihn fiel. Leo kniete sich hin, legte die Lampe
beiseite und ergriff die Hände des Mannes.
»Ihr Kind ist bei mir.
Kommen Sie.«
Verständnislos sah ihn
der Schuster an, dann schaute er auf seine Hände hinunter. »Det
hat mir einfach so überkommen. Die Frau hat mir jereizt und jetriezt.
Hat mir jedrängt, ick soll noch mehr schuften. War allet nich jut
jenuch.«
Leo zog Matussek am Arm hoch.
»Sie kommen jetzt mit in meine Wohnung, dann rufe ich die Polizei.«
»Wieso, Sie sind doch
’n Jeheimer«, erwiderte der Mann.
»Der Fall muss
ordnungsgemäß aufgenommen werden, Spurensicherung und so
weiter. Man wird Sie auf dem Präsidium verhören. Am besten, Sie
gestehen alles.«
»Aber sie hat mir
jereizt . . . imma wieda –«, begehrte Matussek auf.
Leo juckte es in den Fingern.
Er hätte den Mann am liebsten gegen die Wand gestoßen und ihm
gesagt, was er von einem Kerl hielt, der seine Frau womöglich vor den
Augen der kleinen Tochter erwürgt hatte.
Er zerrte Matussek durch den
ersten Hof auf den Gehweg. Gut, dass niemand wach geworden war. Die
Geschichte würde auch so schnell die Runde machen.
Es war nicht einfach, den
widerstrebenden Schuster die Treppe hinaufzubugsieren. Ilse öffnete
auf sein Klopfen hin und sah ihn besorgt an.
»Pass auf, dass die
Kleine ihn nicht sieht«, flüsterte er, schob Matussek in sein
Schlafzimmer und schloss die Tür ab. Dann verständigte er das Präsidium.
»Wissen Sie, ob die
Matusseks Verwandte haben?«, fragte Leo die Nachbarin, die sich als
Martha Hennig vorgestellt hatte. Die kleine Inge war mittlerweile auf dem
Sofa eingeschlafen.
»Ich kenn die Leute
auch nicht gut«, sagte sie unsicher und umklammerte ihre Teetasse,
als wollte sie sich daran festhalten. »Wo bin ich da nur
reingeraten?«
»Ganz ruhig, Frau
Hennig, Sie haben das Richtige getan. Die Kollegen werden Herrn Matussek
gleich abholen und Ihre Aussage aufnehmen.«
Sie hob die Hand. »Herr
Wechsler, da fällt mir ein, die Frau hat wohl eine Schwester im
Brandenburgischen. Hat mal erwähnt, dass sie übers Wochenende
rausfahren wollte mit der Kleinen. Aber ich weiß nicht, wie sie heißt
und wo sie wohnt.«
»Keine Sorge, das
werden wir feststellen. Hauptsache, das Kind muss nicht ins Heim«,
sagte Leo mit einem Blick auf das schlafende Mädchen. »Was
glauben Sie, wie viel die Kleine gesehen hat?«
»Na ja, sie kam
angelaufen und hat an meine Tür gehämmert. ›Die Mutti
liegt da und rührt sich nicht‹, hat sie gesagt.« Frau
Hennig schluckte und kämpfte mit den Tränen. »Ich glaube,
sie hat sie gefunden, als sie schon tot war. Ich hab nämlich gefragt,
wo der Vati ist, und sie sagte, sie wüsste es nicht.«
Ilse kam mit einer frischen
Kanne Kamillentee herein. »Noch eine Tasse, Frau Hennig?« Leo
war dankbar, dass seine Schwester so praktisch reagierte.
In diesem Moment klingelte es
an der Tür.
Herbert von Malchow betrat
mit zwei Kriminalassistenten die Wohnung. »Herr Kommissar.« Er
nahm den Hut ab, wobei er einen akkuraten blonden Scheitel enthüllte,
und sah sich fragend um. »Sie haben einen Todesfall gemeldet?«
»Der Mann ist hinten im
Schlafzimmer«, sagte Leo knapp und deutete auf die Tür am Ende
des Flurs.
»Welcher Mann?«
»Der Täter,
Herrgott noch mal«, erwiderte Leo ungeduldig. Ausgerechnet den
hatten sie ihm geschickt.
»Der Mann heißt
Peter Matussek und hat allem Anschein nach seine Frau erwürgt. Ich
habe Leiche und Tatort bereits inspiziert, der Mann hat die Tat praktisch
gestanden. Sie brauchen ihn nur mitzunehmen. Und finden Sie heraus, wie
die Schwester des Opfers heißt. Es gibt ein Kind, das dringend von
hier wegmuss.« Ilse, die in der Wohnzimmertür stand, sah ihn
bei diesen barschen Worten überrascht an.
»Welch exzellente
Arbeit, Herr Kommissar. Sie melden einen Mord, und wenn wir kommen, ist er
schon aufgeklärt. Die Arbeit kommt wohl zu Ihnen anstatt umgekehrt.«
Von Malchow schaute seine Begleiter beifallheischend an, doch sie blickten
betreten zu Boden.
»Herr von Malchow«,
sagte Leo nachdrücklich, »Sie brauchen nur Ihre
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