Leo Berlin
vertraut.
Doch Ilses Schritte im Flur
rissen ihn aus seiner Versunkenheit. Er küsste Marie auf die Stirn
und verließ leise das Kinderzimmer.
»Ausgerechnet den haben
sie dir geschickt?«, fragte Robert Walther am nächsten Morgen,
nachdem Leo eine Stunde zu spät zum Dienst gekommen war und ihm von
seinem nächtlichen Einsatz berichtet hatte.
»Ja.« Er seufzte.
Der Tag konnte nur besser werden als die letzte Nacht, was sich bei
Walthers nächsten Worten bestätigte.
»Wir haben die Frau,
die aus dem Kokskeller, meine ich. Verena Moltke.«
»Und?«, fragte
er, als er Walthers Blick sah.
Ȇble Geschichte.
Sie lebt in einem Pflegeheim. Die Familie hat sie dort untergebracht, weil
sie nicht mehr weiterwusste. Das Kokain hat sie völlig zerstört.«
»Wir fahren trotzdem
hin. Vielleicht erfahren wir, ob sie manchmal Besuch bekommt und von wem.«
Das Pflegeheim wirkte düster.
Grau verputzte Mauern, ein Garten, der den Namen nicht verdiente, teils
vergitterte Fenster.
»Sieht mir eher nach
einer Irrenanstalt aus«, murmelte Leo und klingelte.
»Kriminalpolizei, ich
bin Kommissar Wechsler, das ist mein Kollege Walther«, sagte Leo zu
der Frau in Schwesterntracht, die ihm die Tür öffnete. »Wir
möchten eine Ihrer Patientinnen sprechen.«
Sie führte die Männer
in eine kühle Eingangshalle, die den Charme eines Wartesaals verströmte.
»Einen Augenblick, bitte, ich hole den Oberarzt.«
Dr. Fellner, ein untersetzter
Mann Mitte fünfzig, begrüßte sie herzlich. »Guten
Tag, meine Herren, womit kann ich dienen? Die Schwester sagt, Sie wollen
zu einer Patientin?«
Leo stellte sich und Robert
erneut vor. »Wir möchten zu Fräulein Verena Moltke.«
Ein Schatten huschte über
das gerötete Gesicht des Arztes. »Darf ich fragen, worum es
geht?«
»Ein Mann, mit dem sie
früher bekannt war, ist ermordet worden.«
Dr. Fellner sah ihn
verwundert an. »Ich kann Ihnen bestätigen, dass Fräulein
Moltke dieses Haus seit mehreren Monaten nicht verlassen hat. Sie befindet
sich in einem bedauerlichen Zustand, es besteht wenig Hoffnung auf
Besserung.«
»Wir haben keineswegs
Ihre Patientin im Verdacht«, erklärte Robert. »Aber der
Tote hat sie damals mit dem Rauschgift in Berührung gebracht. Möglicherweise
hat ein Freund oder Verwandter sie auf diese Weise rächen wollen.«
»Das halte ich für
äußerst unwahrscheinlich, aber bitte.« Er deutete auf
eine Schwingtür und ging vor ihnen her.
»Da kriegt man ja eine
Gänsehaut«, flüsterte Robert. »Wer soll denn hier
drinnen gesund werden?«
»Scheint mir eher ein
Abstellgleis für hoffnungslose Fälle zu sein«, erwiderte
Leo.
Der Arzt war vor einer
Zimmertür stehen geblieben. Die Wände des Flurs wirkten ebenso
schmucklos wie die Außenmauern des Gebäudes, als sollte nichts
die Patienten von ihrer Genesung ablenken. Oder als wollte man Geld
sparen, dachte Leo.
»Ich möchte Sie
bitten, die Patientin nicht unnötig aufzuregen«, sagte Dr.
Fellner. »Sollte sie unruhig werden, klingeln Sie bitte nach der
Schwester.« Mit diesen Worten öffnete er die Zimmertür und
ließ die Männer eintreten.
Auf einem Stuhl am Fenster saß
eine zusammengesunkene Gestalt in einem weißen Kleid. Sie rührte
sich nicht, als die Männer näher traten, und reagierte erst, als
der Arzt ihr sanft die Hand auf die Schulter legte. »Fräulein
Moltke.«
Sie fuhr herum und Leo wich
unwillkürlich zurück. Ihre Nase sah eingeschrumpft aus, war nur
noch ein Fleischklümpchen ohne Form. Die Augen wirkten dagegen
riesig, sie beherrschten das ganze Gesicht. Ihre Haut war fahl und
ungepflegt, die Haare waren stumpf und lange nicht mehr frisiert.
»Wer sind Sie?«,
fragte sie mit heiserer, ungeübter Stimme.
Während Leo sich
vorstellte, verließ der Arzt leise das Zimmer. Robert überließ
seinem Kollegen das Feld und trat ans Fenster. So etwas konnte Leo besser.
Dieser kniete sich vor den
Stuhl und schaute die junge Frau an. »Haben Sie keine Angst, wir
wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Kennen Sie einen Mann namens
Gabriel Sartorius?«
Sie schien in ihrem zerstörten
Hirn zu forschen. Vergeblich.
»Er war ein Heiler. Er
wohnte in einem schönen Haus. Haben Sie ihn dort einmal besucht?«
Keine Antwort.
»Sind Sie zu ihm
gegangen, weil Sie krank waren?«
Zu Leos Überraschung schüttelte
sie energisch den Kopf. »Nein, das eben war der
Weitere Kostenlose Bücher